Kurz vor dem Herbstauftakt in Hinzenbach bei Linz, dem Springen auf der Mattenschanze, hat Gregor Schlierenzauer das gesagt, was er schon vor einem, wenn nicht zwei Jahren im Trapattoni-Ton hätte sagen sollen. Liebe Freunde des Skispringens, ich kann nicht mehr, ich habe fertig, Flasche leer! Ich weiß, ich weiß, nichts ist so schwer oder schwerer, als einen Schlussstrich hinter eine Karriere zu ziehen, die jahrelang von nichts anderem als Höhenflügen, Siegesserien, Titeln und Medaillen geprägt war. Zwei, wenn nicht drei Jahre lang hat der erfolgreichste Weltcupspringer aller Zeiten insgeheim gehofft, er könnte das Rad der Zeit zurückdrehen, aber der von Verletzungen und OP´s malträtierte Körper eines Frühreifen, der mit Siebzehn zu gewinnen begonnen hatte, konnte sich nicht mehr in einen Spätzünder verwandeln, der dort anknüpft, wo er einmal war.
Als Adler Gregor Schlierenzauer noch ein Weltcupsieger war und dann, als er einen echten Adler in die Augen blickte..
Egal, mit wem er es versuchte, ob mit den ÖSV-Trainern, ob mit Hupo Neuper, ob zuletzt mit Werner Schuster, der Zahn der Zeit, die Änderungen im Material, die körperlichen Abnützungen bis Defizite ließen sich trotz einiger weniger Ausreißer nach oben mit Top-Ten-Plätzen nicht mehr überspringen, so sehr sich Gregor danach sehnte. Anders als etwa beim Fußball, wo es immer noch alternative Geldquellen gibt, die sich mit einem tollen Namen anzapfen lassen, ist das halt weder auf Pisten noch auf Schanzen möglich, so gut kann man gar nicht gewesen sein. Und dieser Gregor Schlierenzauer war, als er wie ein Himmelskörper aufstieg, zumindest so gut wie sein Erzrivale Thomas Morgenstern, aber besser als alle anderen. Keiner hat jemals Weltcupspringen gewonnen als Gregor, der „Schlieri“, wie man den Neffen der Rodel-Legende Markus Prock genannt oder gerufen hat – 53 an der Zahl, wenn ich mich nicht irre.
Was ihm aber am Ende gefehlt und womöglich dazu getrieben hat, einen Comeback-Versuch nach dem anderen unter neuer Betreuung zu starten, könnte der einzige Titel gewesen sein, der ihn in seiner pompösen Sammlung letztlich gefehlt hat. Und das wäre, wenn er doch – irrtümlich eingetrichtert – alles gewonnen hat, was man gewinnen hätte können, sprich: Olympia-Sieg in einem Einzelspringen, nicht mit der Mannschaft. Ja, so was gibt´s, so was kann´s geben, da muss man nur andere Größen der Pisten wie der Schanzen fragen wie einen Bubi Bradl in der Pionierzeit, einen Baldur Preiml, der dann Trainer-Goldschmied wurde, oder einen Helden und Märtyrer der Nation wie Karl Schranz, für den eine Viertelmillion an Fans nach dem Sapporo-Ausschluss 1972 beim Wien-Empfang die Straßen und den Ballhausplatz säumten. Im Gegensatz dazu, das sei angefügt, hab´ ich den heute kurz vor Herbstbeginn verkündeten Schlierenzauer-Abgesang als einen Rücktritt auf sehr leisen Sohlen empfunden.
Ich meine, dass sich dieser Himmelstürmer als Teenager, Höhenflieger und Überdrüber-Schanzenstar der besten Jahre, aber tragischen Figur in den letzten Karrierezügen einen ganz großen Abschied verdient hätte oder immer noch verdienen würde. Ich meine, dass jetzt der neue Skiverband mit neuen Verantwortlichen am Zug wäre, für einen, der ganz Großes geleistet und jeden Menge Gold wie andere Medaillen und Titel gewonnen hat, auch etwas ganz Großes zum Abschied zu inszenieren. Das würde auch davon zeugen, dass die neuen Granden im Skiverband über die nötige Größe verfügen, auch Allzeitgrößen der alten Ära zu huldigen. Darauf bin ich ebenso gespannt wie darauf, welche Ziele aus welchen Motiven der begabte Hobby-Fotograf Schlierenzauer für seine Karriere nach der Karriere ins Visier nimmt…