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Als Djoker der Geschichte nachweinte, weil er sich gegen Medwedew selbst im Wege stand

Es hätte die Stunde des historischen Triumphes schlagen sollen. Der Teppich war ausgerollt, Vorgänger Rod „the Rocket“ Laver saß auf der Tribüne, um ihn im Exklusivklub der Kalender-Grand-Slam-Sieger zu begrüßen. Aber dann schlug Novak Djokovic die Stunde ganz anders, als es weder er noch sonst jemand erahnt hätte. In einem US-Open-Finale, in dem er in die Annalen hatte eingehen wollen, schrumpfte der 20fache Grand-Slam-Sieger, die an Wochen längste Nummer 1 aller Zeiten, zum besseren Sparringpartner des russischen Außenseiters Daniil Medwedew.

Just am Tag, als er Geschichte hatte schreiben wollen, wurde er weder seiner Nerven, seiner Sinne und vor allem seiner Emotionen Herr. Just am Tag, als er in Flushing Meadow von verbissenem Buhmann und gnadenloser Siegesmaschine als Historiker in spe über Nacht um großen Publikumsliebling mutiert war, schlüpfte aus dem vermeintlich unverwundbaren, so gut wie unschlagbaren Tennis-E. T. ein verletzlicher, sensibler, enttäuschter, frustrierter Mensch, dem zum Heulen war, weil ihm der Lebenstraum vor der Nase weggezogen wurde. Ja, noch ehe Schluss war, weinte Djokovic schon der Jahrhundertchance nach, über die ihn dann weder die salbungsvollen Worte des US-Tennispräsidenten noch jene von Medwedew hinwegtrösten konnten, der ihn als größten Tennisspieler aller Zeiten bezeichnete. Und auch nicht die Beifallstürme der Fans, bei denen er sich für ein unauslöschlichdes Ereignis bedankte. Alles in allem nichts als ein klein wenig Balsam auf die tiefen Wunden, die er noch lange lecken wird.

In New York und beim US-Open wiederholte sich, was sich schon in Tokio und bei Olympia abgespielt hatte, wo der Traum vom Golden Slam geplatzt war, den bisher nur Steffi Graf vollendet hat. Und auch diesmal, so schien´s, hatte sich Djokovic vor und im Endspiel gegen einen unheimlich lockeren, als russischer Publikumsfeind doppelt motivierten Medwedew von vornherein zu sehr mit diesem finalen Ziel seiner Karriere beschäftigt – mehr noch, darin verbohrt. Dem Djokovic, der vor den Augen von Rad Laver auf dessen Spuren hatte wandeln wollen, stand fast eine Karikatur des Djoker im Wege. Und je mehr er versuchte, dem Schatten seiner selbst zu entkommen, desto mehr verstrickte sich die Nummer 1 in Ruckizucki-Aktionen, die von Plan- und Ratlosigkeit zeugten. Trainer Marian Vajda und Ex-Coach Boris „Bobele“ Becker waren so fassungslos wie fast alle Tennis-Fans, die so etwas nie und n immer erwartet hätten.

So kann´s gehen im Spitzensport im Allgemeinen und beim Tennis im Besonderen, wenn sich das Unterbewusstsein ins sonst so konzentrierte, fokussierte Bewusstsein einmischt. Ob und wenn welche Langzeitfolgen dieses schmerzhafte, bittere Debakel das für einen noch haben könnte, der kurz vor der Ziellinie über sich und seinen Lebenstraum gestolpert ist, lässt sich noch nicht abschätzen. Angesichts der von Medwedew und Co angeführten neuen Generation (mit oder ohne Thiem, der plötzlich, na Servus, bei Eurosport gelandet war…) scheint jedenfalls ein neuer Anlauf auf einen Kalender-Grand-Slam kaum vorstellbar. In der Tat, dieser Tag in New York am Tag nach 20 Jahre 9/11 war für Djokovic zum Heulen. Und zum Zähneknirschen.

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