Es schien ihm der richtige Zeitpunkt, sich in Erinnerung zu rufen – wenn auch mit diffusen, unbewiesenen Vorwürfen gegenüber den größten und besten Rivalen von ehedem. Vicenzo Nibali, der zum kleinen Exklusivzirkel der Radprofis gehört, die Giro, Tour und Vuelta gewonnen haben, hat sich wenige Tage vor den Start zum Giro d´Italia zu Wort gemeldet, um ehemalige Gegner anzupatzen und an den Pranger zu stellen – ohne Namen zu nennen, was noch perfider ist, weil ja fast jeder seiner Rivalen damit gemeint sein könnte. Im gekürzten Wortlaut hört sich Nibali so an: „Wäre ich nicht von Dopern geschlagen worden, hätte ich noch viel mehr gewonnen!“
Das ist, wenn sie mich fragen, post festum ganz schön starker Tobak, den Vicenzo da hinausgeblasen hat. Just jener siegeshungrige und in welcher Form auch immer tatendurstige Nibali, der seiner Unersättlichkeit wegen als „Hai von Messina“ bezeichnet und der Teams und Teamchefs wegen, für die er fuhr, jahrelang unter Dopingverdacht geraten war. Nicht zuletzt deshalb, weil er gleich zweimal für die kasachische Astana-Mannschaft unter Führung von Alexander Winokurow, der des EPO-Dopings überführt und gesperrt worden war.
Und wenn man auch über tragisch (bei Trainingskollision mit Auto) ums Leben gekommene wie seit und unter den Römern nil nisi bene (nichts außer Gutes) sagt, so ändert das nichts daran, das sein Edelhelfer und Busenfreund Michele Scarponi, der selbst noch den Giro gewinnen sollte/konnte, gleich zweimal wegen Dopings gesperrt war. Und zu Vicenzos Vertrauten auch solche gehrten, die zum Doping-Arzt Ferrari gute Kontakte unterhielten. Vor gut zehn Jahren, als Nibali die Tour de France dominiert hatte, war er auch von der Sportbibel l´Equipe, auch Mitveranstalter des größten aller Rundfahrtklassiker, stets mit Dopingvorwürfen konfrontiert gewesen, die er aber wie ein Teflon-Profi ohne konkrete Antworten abprallen ließ. Er meinte damals, es wäre Zeit, nicht immer im Gestern zu wühlen, sondern nach vorn uzu schauen.
Ob er damals und bis zu seinem späten Rücktritt als älteres Semester und trotzdem noch Giro-Vierter vor zwei Jahren selbst im Glashaus saß, das lässt sich also höchstens mutmaßen, aber aktuell nicht nachweisen, nichtsdestotrotz hätte es sich meiner bescheidenen Meinung nach der gute Vicenzo sparen können, mit Steinen zu werfen. Frei nach dem Motto: Angriff ist die beste Verteidigung, bevor sie mich angreifen. Abgesehen davon, dass der gierig-gefährliche Hai ganz sicher nicht zu jenen Exemplaren gehört, die besonders positiv besetzt sind. Reden ist Silber, Schweigen aber Gold. Und seltsam, dass er als Rad-Pensionist jetzt im Gestern wühlt, weil´s kein Morgen mehr gibt für den Hai, an dem der Zahn der zeit nagt …