Beim täglichen Surfen, das inzwischen ja so etwas wie Pflicht ist, damit man am Ball und Puls der Zeit bleibt, bin ich irgendwo so zwischendurch fast versteckt wieder auf den Kuss gestoßen, der die Fußballwelt erschüttert (hat). Da stand also in einem Sportportal die weltbewegende Meldung, dass ein spanischer Richter – ob männlich, ob weiblich weiß ich nicht – nach einer Reihe anderer spanischer Weltmeisterinnen nun endlich auch jene Jennifer Hermoso vorgeladen hat, die sich ja (mit Zeitzündung) als geradezu vergewaltigtes Opfer der Kuss-Begierde eines inzwischen abgehalfterten Fußball-Verbandspräsidenten hingestellt hat.
Ich weiß natürlich, dass ich für viele jüngere Semester als Ewiggestriger gehandelt werde, bin mir aber ebenso sicher, dass ich grundsätzlich nicht von gestern bin, sondern sehr gut ahne, woher der Wind weht und wohin die Reise gehen soll. Und meine Wenigkeit eben darum viele unglaublich, wenn nicht unerhört und unzulässig aufgebauschte, politisch punzierte (Un)Dinge aus einem stinknormalen menschlichen Blickwinkel und vielleicht auch mit jenem Augenmaß betrachte, das manch übereifrigen, zukunftsreichen Weltverbesserern immer mehr abhanden zu kommen scheint.
Wer wo auch immer die Berichte zu diesem ins Unermessliche getriebene Thema liest, der bekommt allmählich – zumindest aus meiner Sicht – den Eindruck, als würden sich (nicht nur einschlägige) Medien schon jetzt geradezu diebisch bei der Aussicht freuen, dass der zwar beim Bussi am Mund von Jenny keineswegs weggestoßene, aber post festum verteufelte, unbotmäßige, sexistische spanische Küsser-König nicht nur auf Jahre aus dem Fußballverkehr verbannt, sondern auf die Anklagebank gesetzt und zur Höchststrafe verurteilt wird, sprich: Drei Jahre Knast, wenn geht bei Wasser und Brot!
Diese ins Kraut schießende, an Lächerlichkeit grenzende Skandalisierung eines Kusses in der Euphorie eines WM-Triumphes nimmt für mich mehr als nur groteske Formen an – vor allem dann, wenn ich mich insgeheim frage, was gewesen wäre, hätte eine Frau Präsidentin die Frau Hermoso auf den Mund geküsst? Oder im wahrsten Sinn des Wortes andersrum der Senor Rubiales bei einem spanischen Fußballsieg den männlichen Siegestorschützen so liebkost hätte, wie das in ganzseitigen Zeitungsinseraten der Stadt Wien etwa bei zwei Herren der Schöpfung der Fall ist?
Geschmäcker und Ohrfeigen sind bekanntlich verschieden. Für meinen Geschmack jedenfalls geht das alles zu weit und erinnert mich daran, dass aus Sensationslust, aber auch vorauseilender, für mich falsch verstandener politischer Korrektheit aus einer Mücke ein riesiger Elefant, wenn nicht ein Mammut gemacht wird. Einen eventuell zur Übertreibung neigenden Küsser-König wie mit dem Messer zwischen den Zähnen und Schaum vorm Mund zu verfolgen, als wäre er ein Schwerstkrimineller, grenzt für mich auch an ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wo Übertreibungen schon in Mode gekommen sind, dann dürfen sie auch mir in der Wortwahl erlaubt sein..