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Jannik Sinner oder: Kommt es nach triumphaler Finalwende auch zur Zeitwende im Tennis?

Ob man Bobele, also Boris Becker, jetzt mag oder nicht, als TV-Experte ist der sechsfache Grand-Slam-Sieger einer der besten dieser Szene, die allenthalben schon unter einer Inflation an vergleichsweisen Nobodys leidet. Der wirklich versierte, gute Boris, aus bekannten Gründen nicht vor Ort in Melbourne, sondern mit Kollegen Stach im Eurosport-Studio daheim, hatte schon nach dem zweiten von Sinner verlorenen Satz die mögliche Wende im Finale angedeutet, wenn nicht vorhergesagt. Und das Bobele sollte recht behalten, weil dem davor dominanten Russen Medwedew der Sprit ausging, je länger das Match dauerte.

Aber das war kein Wunder, wenn man bedenkt, dass das Endspiel gegen den Mann der Stunde, also Jannik Sinner, Südtiroler aus Innichen, Wien-Sieger 2023, schon das dritte Fünfsatz-Match in Folge für den noch dünnbeinigeren, noch etliche Zentimeter größeren, letztlich zum für ihn bitteren Ende unberechenbaren Russen war. Das soll Sinner alles, nur keine Perle aus der ersten Grand-Slam-Krone brechen, sei aber der guten Ordnung halber angemerkt. Und man muss es dem wie der legendäre Stummfilmstar Buster Keaton wirkenden Medwedew hoch anrechnen, dass er nach der schon dritten Finalniederlage in Melbourne keine Ausrede von wegen Müdigkeit suchte, sondern seinen erst 22jährigen Bezwinger hochleben ließ als verdienten Sieger. Dem er aber – es klang nach gefährlicher sportlicher Drohung – in einer möglichen Grand-Slam-Final-Neuauflage die Revanche ansagte. Diese Fairness ehrt Medwedew.

Aber bei allem Respekt vor dem Allround-Können des Russen, seiner Aufschlagstärke, seiner Reichweite und seiner Spielintelligenz – nicht nur die Jugend spricht dafür, dass Jannik Sinner sich womöglich über längere Zeit als Erbe der großen Drei (Federer, Nadal, Djokovic) bis Vier, wenn man Doppelolympiasieger Murray inkludiert, an der Weltspitze etabliert. Obschon er heute in einem gedrehten Endspiel als erster und zugleich jüngster Italiener, der aus dem äußersten Winkel Südtirols stammt, mit den Australian Open seinen ersten Grand-Slam-Titel auf dem Konto hat, so befindet sich „Winner Sinner“ unter der Obhut seiner Betreuer Cahill und Vagnozzi immer noch in einer Aufbau-, Lern- und Perfektionsphase.

Diese Drohung ist für die Konkurrenz von ganz jung a la Alcaraz bis ganz alt wie Djokovic noch viel gefährlicher als jene von Medwedew als Final-Revanche. Wenn ich mich nicht irre, dann hat heute in Down Under eine neue Zeitrechnung im Welttennis begonnen. Und Good Old Austria darf mit einem Grenzgänger aus dem Pustertal ein bisschen Höhenluft schnuppern. Aber was einem Südtiroler gelingen konnte, das sollte auch für den aktuell besten Junior wie Joel Schwärzler a la longue keine Utopie, sondern möglich sein. Merks Österreich.

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