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Lois Vötter: Mit 95 im Lockdown entdecktes Kitz-Original

MMag. Judit metzger-bodnar

IN EIGENER REPORTER-SACHE

Hier die Geschichte über das Kitz-Original Lois Vötter, den der ORF im Society-freien und Zuschauer-losen Kitzbühel entdeckten und portraiterten… als ich sie vor zwei jahren der titoler tz angeboten habe, gab´s weder antwort noch druck

 

 

Kitzbühel. Schauplatz ist eine weltberühmte Maßschneiderei an der Hahnenkammstraße, wo sich seit Jahrzehnten die Promis aus Film, Wirtschaft, Politik, Sport, Society und Snobiety die Klinke in die Hand drücken. Jetzt aber kommt ein kleines, aber umso knorrigeres, rustikales Manderl mit weißem Vollbart im alten Skig´wand bei der Tür herein. „Griaß eng“, sagt er und der Hausherr im feinen Zwirn mit passendem Stecktuch fragt: „Servus Lois … warst heut Skifoan?“  „Klar, oba net auf da Straf, dö hein´s jo g´spiarrt fiars Renna!“

Gegensätzlicher könnten die beiden nicht sein. Da Franz Prader, 83, Schneider himmlischer Hosen, von Kopf bis Fuß die Eleganz in Person als Dressman in eigener Kunst und Zunft. Dort Alois „Lois“ Vötter, bald 93, der mit seinem weißen Rausche-Bart aussieht wie eine Mischung aus Rübezahl, Moses und Leonardo da Vinci. Ein Kitzbüheler Original, das selbst schon Geschichte ist, aber geistig so rege, dass es aus ihm nur so sprudelt, wenn er Historisches und Histörchen aus der Gamsstadt erzählt.

Eine lebende, lebendige Fundgrube, wenn man wissen will, was sich seit Jahrzehnten in Kitzbühel abgespielt hat, wie aus der einstigen Bergstadt ein Monte Carlo der Alpen wurde. Er kennt sie alle, die mehr oder weniger heißen, g´schmackigen oder wie man Neudeutsch sagt: Juicy Stories, wer wie was und warum unter Horn und Hahnenkamm geworden ist. Ihn kennen sie alle wie den Horst Ebersberg, der in den 50er-Jahren unter die Top-Ten auf der „Streif“ gefahren war, bevor er im Hollywood-Filmbusiness ein gefragter Stuntman wurde. Und beide kennen alles.

Ja, der Lois, den man von Kopf bis Fuß erfinden müsste, würd´s ihn nicht schon geben! Als armer Bergbauernbub war er aufgewachsen, wurde selbst Jung-Senner, ging als Jungvater durch eine nicht abgeschlossene Lehre als (Kunst-)Schmied, blies als Musikant auch das Flügelhorn und stand als Laien-Komödiant auf Stadt- und Dorfbühnen in und rund um Kitzbühel, ehe er sich 35 Jahre lang bis zur Pensions-Reife bei den Bergbahnen verdingte. Vötter weiß als Kitz-Insider um offene Wege ebenso wie um verschlungene Pfade, adelige Erbschaften, bürgerliche Seilschaften oder familiäre Feindschaften. Ein kleiner Mann aus dem (Fuß)Volk, der ihm, aber auch den Machern und Mächtigen der (Bezirkshaupt)Stadt nicht nur aufs Maul geschaut hat. In einem ausgefüllten Leben über Jahrzehnte hinweg.

Dabei hätte man Lois unmittelbar nach der frühmorgendlichen Geburt wegen eines Herzfehlers kaum Überlebenschancen gegeben. „Drum haben´s gmoant“, schildert er feixend, als hätte er GevatterTod ein Schnippchen geschlagen, „dass mi bis 12 z´Mittag taufen lassen sollen vom Pfarrer, bevor´s z´spat ist!“ Statt des tödlichen Fluchs gab´s für den frommen Senner dann reichen Kindersegen („10, sieben Madeln, zwei Buama, oans war net fürs Leben bestimmt“) mit jener Frau, die er bei einer Wallfahrt ins Salzburgische kennen- und lieben gelernt hatte. „Ich hab´s auf die Knie g´setzt – und 70 Jahr lang ist´s bei mir blieben bis zum Tod.“ Im Haus in der Knappengasse, wo er vom Keller bis zum Dach, von der Werkstatt bis zu den handgeschnitzten Möbeln alles selbst gefertigt hat, hängen die Bilder von Großeltern, Eltern und Kindern an der Wand, ein gerahmtes Foto seiner Frau steht am Tisch. So hat er die Wegbegleiterin stets vor Augen, auch wenn sie nicht mehr da ist…

Wie genügsam das Leben in der ersten Zwischenkriegszeit war, erlebte er am Bauernhof auf der Streifalm am eigenen Leib. Damals regierten harte Arbeit, aber karges Brot bei den Vötters. „Mia hob´n vier Melk-Küh g´habt und 20 Henna, aber Eier hat´s nia geben. Die sein alle verkaft wurn, damit Geld ins Haus kemmt und mia (10) Kinder was zum Anziachen hab´n im Winter…“ Als er schon verheiratet und Nachwuchs da war, musste er zwangsweise ausziehen aus dem Bauernhof, „weil ja koa Platz mehr war.“ So kam er in die Knappengasse, parallel zur Ehrenbachgasse, wo er „beim Infeld das Schmiedehandwerk“ erlernte und so nebenbei das Haus ausbaute. Auch ohne Abschluss beherrschte es der Lois so gut, dass daheim im Wohnzimmer prächtige schmiedeeiserne Lüster hängen. Und Lois fast alles selbst bastelte in seiner Werkstatt, in der es an nichts fehlt, auch Hammer und Amboss da sind. Ja, selbst ist der Mann, der sich alles, was er hat, vom Munde absparte.

Auch mit vollem Einsatz seines Körpers, als er in den frühen 50er-Jahren die bis dahin von Steinen und Felsen übersäte Streif-Abfahrt säuberte und beim Bau des ersten (Einer-)Sessellifts auf den Steinbergkogel kräftig schaufelte, um Gruben für die Stützen zu schaufeln, die – klingt fast nach Steinzeit – auf primitiv-natürliche Weise bis zum Ehrenbachgraben und dann zum Kogel geschafft werden mussten. „Allradler hat´s ja no koane ´geben, Panzer koana mehr, also hat´s g´hoaßen: Mia wean ma Rösser brauchen, die dos daziagn!“ So kamen einst erste Aufstiegshilfen zustande, in die heutzutage, da Sitzheizungen auf 6er- bis 8er-Bahnen die Regel sind im „besten Skigebiet der Welt“, kein Skitourist mehr steigen würde. Vötter gehörte also zu den Pionieren, die Steine auf der Streif entfernt, aber auch den Grundsteine für den aktuellen Kitz-Luxus gelegt haben.

Wie der inzwischen 100jährig verstorbene Karl Koller, Erfinder der Roten Teufel und der Kurz-Ski für Kinder, so lässt sich auch mit und dank Lois durch manch Schlüsselloch blicken, auch in Schlössern und on Schlossherrn wie Graf Schlick vom Lebenberg, der die Comtesse Paula Lamberg heiratete, Schwester des  Grafen vom Schloss Kaps am anderen Ende der Stadt – jene Pionierin der Schanzen, deren 20m-Sprünge wehenden Rockes in allen Stadtchroniken und Ski-Geschichtsbüchern dokumentiert sind. Die fliegende Gräfin hat Lois nicht mehr erlebt, sie starb, kaum verheiratet, als Beifahrerin bei einem Unfall ihres Mannes. Graf Schlick (+1963) aber hat Lois kennengelernt, „der woa a Lebemann und Rennfahrer, der erschte mit an Sportwog´n!“ Adeliges und Edles, Sportliches und Schnittiges waren in und mit Kitz schon  immer eins.

Wie es sich für Schlossherrn gehört, so hielt sich Graf Schlick auch Bedienstete, den Hauserl oder wie Lois frisch von der Leber weg sagt: „an Knecht fia di Wirtschaft hoit, dos war da oite Hinterseer, da Vota vom Ernst, unserm Olympiasieger. Dem hat er die Seidlalm zum Bewirtschaften ´geben, dann hat´s sei Tochter weitag´fiat, die Moidi, die Tant´ vom Hansi, dem Ernstl sein Bua, den hat´s dort aufzog´n.“ Was es sonst rund um die Hinterseers an Gerüchten und Geschichten gab und gibt, dazu sagt Lois nichts. Reden ist Silber, Schweigen Gold. Erst recht dort, wo fast jeder jeden kennt.

Als Vötter bei den Bergbahnen einstieg, hieß der Boss Fritz Tscholl, einer aus den großen Kitz-Dynastien. Wie die Familie Reisch, die Ende des 19. Jahrhunderts aus Kufstein kam und den Skisport aus dem hohen Norden gleich mitbrachte. Wie die Familie Kofler mit dem Flori, der einst zu den besten Tennisspielern Österreichs gehörte. Wie die verzweigten Harischs. Wie die Lambergs oder Dumbas. Und von den alteingesessenen auch die Schlechters, Hechenbergers oder natürlich die Sailers, um deren größten Sohnes zuletzt mehr als nur angekratzten Ruf jetzt die Anverwandten und Nachkommen kämpfen müssen.

Die mediale Hetzjagd auf einen toten Helden von gestern – für Lois Vötter unverständlich und unwürdig. Aber Zeichen einer Zeit, in der er als Kitzbüheler Urgestein und Original sein eigenes Leben lebt. So sportlich wie nötig, um so fit wie möglich zu bleiben in seinem Alter, das man ihm trotz Rauschebart kaum ansieht. „Mit´m Mountainbiken hob i erst mit 75ge ang´fangen.“ Sozusagen über Stock und (Pengel-)Stein, bergauf und bergab. Aber irgendwann meldete sich das Herz, das nach der Geburt fast zum Schlagen aufgehört hätte, zu Wort. Fast wäre Lois der Atem ausgegangen. Aber nur fast. Seit ihm ein Katheter eingesetzt wurde, läuft er wieder wie am Schnürchen. Und erzählt mit erstaunlich geistiger Frische seine Schnurren aus alten und jüngeren Zeiten. Wie gesagt, man müsste ihn erfinden, gäb´s ihn nicht schon, den Lois Vötter, der heuer ins Fernsehen kam, weil´s keine Society und Snobiety in der Gamsstadt gab. Spät, aber doch wurde ein 95 jähriger entdeckt.

 

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