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Nick Kyrgios oder: Vom verdammten Rotzbuben zum hochgelobten Alleskönner

Natürlich war er der Titelverteidiger. Natürlich war er topgesetzt als Nummer 1 der Tenniswelt. Aber Favorit im Achtelfinalduell der US-Open mit dem schillernden Australier Nick Kyrgios war Daniil Medwedew nicht, der Russe, der offiziell nicht für Russland spielen darf, sondern unter dem Kürzel NAR mit einem R, was aber Narretei gleicht. Und da er auch nicht als Favorit gegolten hatte, war die Viersatzniederlage des NAR-Stars gegen den exzentrischen, wenn mitunter sogar narrischen Kyrgios alles, nur keine Sensation.

Aber warum? Schlicht und ergreifend deshalb, weil der spielerisch geniale, aber auch emotionale, unbeherrschte, oft bestrafte, auch gesperrte und psychologisch behandelte Australier mit griechisch-malaysischen Wurzeln seit einigen Monaten besser und erfolgreicher gespielt hat als der Vorjahrssieger! Während Medwedew seit US-Open- und ATP-Finals-Triumph nicht mehr zu dieser tollen Form hat finden können, feierte Kyrgios mit seinem Kumpel Kokkinakis nicht nur im Doppel der Australien Open den ersten Grand-Slam-Sieg, stand der Tennis-Nick-Knatterton nicht nur im Endspiel des Wimbledon-Einzels (gegen Djokovic), sondern bezwang den heuer labilen Russen auch im Countdown zu den US-Open beim 1000er-Masters in Montreal.

Auch wenn er jetzt Medwedew als Nummer 1 entthront hat, so kann er sich selbst – im Gegensatz zu Nadal oder Alcaraz, die aufeinandertreffen, und Casper Ruud, der der erste Norweger wäre – nicht zum Nachfolger küren. Das aber sind mathematische Hochrechnungen oder Rösselsprünge, die mit der aktuellen Qualität nur peripher zu tun haben. Natürlich hätte der Papierform nach der 22fache Grand-Slam-Sieger Rafael Nadal die besten Karten auf Titel Nummer 23, aber wenn´s nach einem absoluten, unabhängigen Experten wie John McEnroe ginge, dann müsste der vom unberechenbaren, disziplinlosen Rotzbuben noch zum Spaßvogel mit Siegeshunger voller Spiellust mutierten Kyrgios seinen ersten Einzel-Grand-Slam-Titel gewinnen.

Und wenn so käme, dann im fortgeschrittenen Alter von fast 28 Jahren, von denen das nicht nur vom Körpermaß (1,94m) große Allroundtalent fast zehn Jahr aus Jux und Tollerei verplempert hat. Dabei beherrscht Kyrgios, der sich erst als 14jähriger Teenager fürs Tennis und gegen Basketball entschieden hatte, so gut wie jeden Schlag – und das gleichsam mit der Leichtigkeit des Seins, ganz so, als wäre Tennis ein schwereloser Sport. Erst jetzt, da er sich und seine Emotionen, um nicht zu sagen, unkontrollierten Wutausbrüche, immer besser im Griff hat, hagelt es nicht mehr harsche Kritik, hohe Geldstrafen und Sperren, sondern werden nicht nur von den McEnroe-Brüdern wahre Lobeshymnen auf den vordem eher Verdammten angestimmt.

Wie es scheint, so ist es dem gereiften Kyrgios endgültig gelungen, mit langjähriger Verspätung doch noch den Bad Boy auszutreiben. Das mit allen möglichen (Natur)-Talenten gesegnete Kind im neuen (Super)Mann allerdings brach auch im siegreichen Duell mit Medwedew wieder aus ihm heraus, als er bei einem verunglückten, zu kurzen (Rahmen)Ball des Russen übers Netz sprang, um ihn volley zu nehmen. Den Regeln nach Punkt für Medwedew, für Kyrgios aber – Spaß beiseite – die Bestätigung, das Gesetz des Handels so zu diktieren, dass er sich leisten kann, den einen oder anderen Punkt sogar herzuschenken. Man kann gespannt sein, welcher Nick im Kyrgios sich beim US-Open weiter durchsetzt…  

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