Wer mit der Zeit geht, der muss mit althergebrachten Parametern, Meinungen oder gar Vorurteilen aufräumen. Das gilt auch für den Sport und im Besonderen für den Fußball, erst recht und vor allem in Corona-, besser: Covid-19-Zeiten. Vorbei ist´s mit der vorgefassten, verängstigenden Ansicht, dass du bei Auswärtsspielen im Europacup, der jetzt abgestuft Champions oder Europa League heißt, auf einen Hexenkessel gefasst sein musst oder ebendort in des Teufels Küche kommen könntest! Davon ist keine Rede mehr, ganz im Gegenteil. Inzwischen stellt sich ja allenthalben die Frage, wie sich für die beteiligten Aktiven der Fußball anfühlt, wenn es wo immer so gut wie keine Pfiffe wie Nadelstiche oder Jubelstürme und Beifallsorkane gibt, sondern allenthalben bestenfalls selbst für TV-Zuschauer unüberhörbare Zu- bzw. Zwischenrufe am Feld oder von der Trainerbank.
Zusatz-Motivationen und/oder Adrenalinspritzen, mit denen sich die Kicker von Abertausenden an enthusiasmierten Fans einen Heimvorteil verschaffen konnten? Fehlanzeige, weil ja – wenn überhaupt – nur ein Minimum an Zuschauern erlaubt oder gar keiner da ist wie etwa im Di-Stefano-Trainingsstadion von Real-Madrid bzw. Castillana, wo die Königlichen gegen Schachtjor Donezk eine Heimpleite erlebten. Und wie ging´s dem Champions-League-Finalisten Paris Saint Germain mit oder trotz Neymar, Mappe und Co? Ebenfalls daheim eine auf den Deckel! Wie Zenit St. Petersburg! Wie Dynamo Kiew! Die gegen ein Kaliber wie Atletico Madrid hoch überlegenen Bayern als Titelverteidiger gehörten zu den Ausnahmen von der Regel, dass sich manch Mannschaft inzwischen auswärts ohne Erfolgszwang und Erwartungsdruck leichter tut als daheim.
So gesehen relativiert sich auch das 2:2 der Salzburger in der RedBull-Arena von Siezenheim gegen eine Lok-Moskau-Elf, die individuell wie kollektiv viel besser spielt und viel stärker ist als der Ruf der unbekannten, gern unterschätzten Größe, der ihr vorauseilt. Und wäre Daka, einer der größtenteils noch jungen Roten Bullen, am Ende kaltblütiger gewesen statt im Alleingang am Lok-Tormann zu scheitern, dann hätte Salzburg über drei Punkte jubeln können statt sich über zwei verlorene Zähler zum Auftakt zu ärgern. Trotz allen Lamentierens, trotz schwächerer Episoden verdient sich der seit Jahren so gut wie unantastbare, fast unschlagbare heimische Serienmeister auch insofern Respekt, dass es ihm immer wieder gelingt, nach Verlusttreffern den Schock auszutreiben, um Spiele drehen zu können.
Es scheint das wichtigste Instrument und größte Verdienst des sympathischen Trainer-Oberbullen Jesse Marsch zu sein, den (Wahl-)Salzburgern aus aller Herren Länder das typisch amerikanische Virus eingeimpft zu haben, im Rückstand nie klein beizugeben, sondern immer am Ball zu bleiben, bis sich vielleicht doch noch Tore öffnen. Und zwar unabhängig davon, ob jetzt eine Minimalzahl an Fans kommen darf oder die Stadien ohne Zuschauer nur die Rolle stummer Diener spielen müssen. Jedenfalls gehört es zu den interessantesten Herausforderungen für Spieler, wie man in Geisterspielen ohne Hexenkessel an oder über die eigenen Grenzen geht. Und ebenso spannend ist die Antwort auf die Frage, ob künftig publikums-, ja geradezu keimfreie Auswärts-Matches die besseren Heimspiele (geworden) sind oder werden. Daham is daham? Irrtum! Covid-19 liefert immer neue Aspekte und Perspektive des Lebens. Auch im Sport. Erst recht im Fußball.