Was soll man über einen Menschen schreiben, über den schon so viel gesagt, geschrieben, gedreht, gedroht und gejubelt wurde im Laufe eines Lebens, das nicht ein, sondern mit Drum und Dran, mehr Höhen als Tiefen, ganze Bücher füllen würde? Ja, wo soll man abgesehen von archivarischen Daten, Fotos, Filmen und Fernsehbildern anfangen, wenn es um Karl Schranz geht, nicht nur einen der größten Skirennläufer aller Zeiten, sondern auch eine der schillerndsten, historisch mehr als nur sportlichen Figuren, die andere Geister schieden, aber dafür eine ganze Nation einten, als er ein ums andere Mal ein Opfer verlogener olympischer Amateur-Regeln geworden war.
Am Samstag begeht Karl Schranz, alpines Gegenstück zu Qualtingers Herrn Karl, seinen 85. Geburtstag – welch Ironie der Skigötter einen Tag nach jenem eines Toni Sailer (+2009), in dessen Spuren er auf allen Strecken und in allen Rennen der Welt bis auf jene bei Winterspielen glitt. Schranz feiert In Wien, das für den längst nicht mehr einsamen, einst beinharten Wolf vom Arlberg, sondern einen ehedem für so gut wie undenkbar gehaltenen Familienmenschen und Opapa mit Fünfmädchen-Haus zur zweiten Heimat geworden ist. In Wien aus vielerlei Gründen, ganz sicher auch des unauslöschlichen Eindrucks wegen, wie ihn Wien und die echten Wiener vor 51 Jahren nach dem Ausschluss von den Sapporo-Spielen 1972 als olympischen Märtyrer empfangen hatten.
Unter Aufrufen von Schranz-Freund und ORF-General Bacher hatte eine Viertelmillion die Straßen vom Flughafen bis in die Innenstadt gesäumt, 50.000 empörte und in ihrer patriotischen Ski-Ehre gekränkte Österreicher drängelten sich vor dem Kanzleramt, um Karli, Karli, Karli zu skandieren, als ihn Bruno Kreisky zu Huldigungen des Fußvolkes allein auf den Balkon schickte mit Blick auf Menge, Hofburg und Heldenplatz, was manch Auslandskorrespondenten zu wahrlich unzulässigen Vergleichen anstachelte. Es war, um es so zu sagen, ein letztes sportliches Ski-Hurra, denn die eigens für ihn vom pro forma schuldbewussten FIS-Präsidenten Marc Hodler versprochene Schranz-WM fand nie statt. Die (Not)Lüge für die (Leid) Genossen hatte im Hand-, Pardon: Wortumdrehen nur kurze Beine …
Genug der Geschichte, um lieber Geschichten auszupacken, die meine Wenigkeit höchstpersönlich mit Karl, dem für mich damals noch ganz Großen, erlebt habe. Erstmals so richtig als ORF-Mitarbeiter, der am Tivoli in Innsbruck einen Film gestaltete, wie sich Schranz auf den Zehnkampf der (Welt) Superstars in Florida vorbereitete, darunter als Sprinter in den Startlöchern. Hoch zu Stahlross, also auf dem Rad, hatte er sich ja schon immer Sommers über abgestrampelt – im Gegensatz zum ungeübten, berühmt-berüchtigten US-Footballstar O. J. Simpson, dessen (Doppel)-Mordprozess mit Freispruch mehr als zehn Jahre später nicht nur den Boulevard in Atem halten sollte. Schranz half ihm in den Sattel und mischte selbst im Konzert der Allergrößten aus Weltsportarten mit, in dem der damalige Himmelstürmer Bob Seagren (Stabhochsprungweltrekordler) den Ton angab.
Der Skikönig konnte Paroli bieten, weil Schranz wie viele Vor-, Kriegs- und Nachkriegskinder ein universeller Sportler war, der mir auch als Flügelflitzer beim Hobby-Kick auf dem Red-Star-Platz neben der Stadthalle ins Aug´ stach. Von da her rührte auch seine Freundschaft mit dem ersten und zweimaligen, ein paar Monate älteren Rapid-Legionär Branko Milanovic, mit dem er heute noch verbunden ist. Wie mit Rapid, obschon der früh verstorbene Mister Austria Joschi Walter zu seinen Freunden zählte.
Als ganz Junger war Karl als Wunderkind und Naturtalent gepriesen worden, aber Schranz wusste ganz genau, dass die schönste Begabung erst zum Tragen kommt, wenn man das Potenzial mit harter Arbeit ausschöpft oder dort, wo man bei Null beginnt, den Nachholbedarf abdeckt. Ich kann mich dabei des TV-Skikurses „Schranz x 8“ erinnern, den ich (Konsulent und Assistent) in den 70er-Jahren mit dem emeritierten Leit-Wolf des Rennsports und angehenden Skischulleiter mitgestalten durfte. Wie alle, die damals Neulinge im Filmgeschäft waren, so mussten wir alle aus „Einfädlern“, sprich: Fehlern lernen, um sie zu korrigieren. Und das galt auch für den Hotelier und den Lokalpolitiker Schranz, der sich für manch einen Blickwinkel vom Volkshelden der Nation zu einer Persona non grata gewandelt hatte, obschon er im Grunde immer der Gleiche geblieben war. Bis zum Tag, als er mit Evelyn aus der steirischen Keglevich-Dynastie der Frau seiner Träume und Liebe seines Lebens begegnete.
Und siehe da, unter der harten, rauen Schale verbarg sich ein weicher Kern, zwar kein Weichspüler, aber was die drei Mädels (Anna, Chrissy, Kathi) und nun das erste, bisher einzige Enkelkind Lili betrifft, ein warmherziger Faserschmeichler voll (groß)-väterliche Stolz. Er frisst jetzt im übertragenen Sinn ihnen so aus der Hand wie früher die jungen Skitalente wissen wollten, wie man so gut fährt und so viel gewinnt wie er…
Bevor wir zum Ende einer geschichtsträchtigen Person kommen, die längst Denkmal ihrer selbst ist, erlaube ich mir den Hinweis eines älteren Semesters, dass der dreifache Weltmeister, zweimalige Weltcup- und sechsfache Hahnenkammsieger (4x Abfahrt) ja nicht nur Brundage-IOC-Opfer war, sondern auch – lachen Sie nicht – eines der frühen Geburt. Ehe der Weltcup im Jänner 1967 aus der Taufe gehoben wurde, hatte Karl der Große schon den Generalprobe-Europacup und alles in allem sicher an die 50 bis 60 FIS-A-Rennen in Zeiten gewonnen, in denen es weit weniger Bewerbe gegeben hat als jetzt, dafür aber rundum fabelhafte Vielseitigkeitskünstler wie ihn, die alles beherrschten, aber noch keinen Super G oder gar eine Super-Kombi kannten, also gar nicht so oft starten oder gewinnen hätten können.
Wie gesagt, ich schreibe das, um die von Rekordsucht geprägten Schlagzeilen zu relativieren. Für Karl ist das alles, Olympia inklusive, in einem sonst erfüllten Leben kein Thema mehr, weil er sowieso mehr gesehen, mehr erlebt, mehr gewonnen und mehr an Orden bekommen und Ehren-Bezeigungen genossen hat. Die Fanfare zum 85er, die ich zu Ehren meines Freundes von Wien und vom Arlberg hab komponieren lassen von Meinhard Rüdenauer, soll ein Salut auf einen der außergewöhnlichsten Österreicher sein, der trotz St. Anton-Wiege auch altösterreichische, böhmische Wurzeln hat.