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Sao Paulo: Neben Armut regiert in Blindflug mit Blechsalat der Temporausch

Formel-1-Grand-Prix von Brasilien auf dem Berg-und Talkurs Interlagos inmitten der 12,4-Millionenstadt Sao Paulo, wo die Armutsquote der Einwohner bei nicht weniger als 19 Prozent liegt, also fast ein Fünftel der Bevölkerung. Nirgendwo sonst, wo sich der Formel-1-Zirkus dreht, ist der Anteil der Unterprivilegierten, um das vorsichtig zu formulieren, so groß wie in der größten Stadt des 211-MillIonen-Volkes in Südamerika. Wenn die Formel-1-Größen dort in Memoriam Ayrton Senna und in Erinnerungen an ihren dort aufgewachsenen, quicklebendigen Felipe Massa dort Station machen, dann lebt in Interlagos, einem der prekären, gefürchteten Vororte der römische Spruch von Panem et Circenses auf, also Brot und Spiele. Oder sarkastischer gesagt: Gib dem Affen Zucker.

Was das aktuelle Rennen anbelangt, das Tag für Tag vom Regen in die Traufe kam, was auch wieder für die Roten Bullen galt, so traf das auch wirklich zu. Selbst dann, wenn nur endlos und mitunter vergeblich gewartet und nicht durch Wasserlachen und mit riesigen Fontänen gefahren  wurde, säumten Zehntausende an Enthusiasmierten den Rundkurs, obschon kein einziger Brasilianer dabei ist, sondern nur ein talentierter Jung-Pilot vom sportlichen Rivalen Argentinien …

Wie auch immer, die Wasserschlacht von Interlagos nahm nicht nur für die bei den Hörnern gepackten Bullen ein schlechtes Trainings, es gab auch jede Menge an teuren Blechsalat, also mehr oder weniger rundum beschädigte Boliden, die – wenn überhaupt machbar – von Mechanikern im Eiltempo repariert werden mussten. Abgesehen davon, dass man durchaus diskutieren könnte, ob die Formel 1 in Krisen-Zeiten wie diesen und politisch motivierten Bremsmanövern nicht sowieso an Anachronismus grenzt, hat sich mir angesichts der TV-Bilder aus Brasilien die Frage gestellt: Soll und darf man eigentlich nicht nur zeigen, sondern sogar hochjubeln, wenn hochbezahlte Bleifuß- und Lenkradakrobaten in wahren Blindflügen durch Wasser-Gischten bei Tempo bis 300 km/h ohne Rücksicht auf Verluste aufs Gas steigen?

Dass TV-Sender, die für Übertragungsrechte enorme Summen bezahlen, mit ihren mehr oder weniger tollen Experten-Kommentatoren dem das Wort reden, ist ja noch verständlich. Wenn man aber dann und dort, wo einen Steinwurf vom Rundkurs entfernt auch eine durch Armut geprägte Kriminalität blüht, noch aufzählt, welch horrende Kosten die Crashpiloten mit oder ohne Regen verursachen, kann man nur noch den Kopf schütteln. Na ja, da ein Flügelchen, dort eine Aufhängung, da ein paar Reifen, dort mehr als nur Dellen – „und schon sind wir bei einer Million.“ Wie gesagt, wo der Rausch an Geschwindigkeit regiert, als wäre die  Zeit in den Zeiten der Hochkonjunktur stehengeblieben, dort wird nichts und niemand hinterfragt. Vielleicht erst dann, wenn die Dosen entleert sind – und keine Energie mehr spenden können. Irgendwann muss doch Vernunft die Reißleine ziehen. 

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