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Thiem: Letzter Tango in Kitz mit Triumphmärschen nach Schwanengesang für die Allzeitgröße

Der liebe Wettergott hat runterg´schaut, ein Einsehen gehabt, die steinerne Bühne freigegeben für die Premiere eines Kitzbüheler Festspiels, die – wie der Name schonsagt – bekanntlich nur einmal stattfindet. Gespielt wurde auf rotem Sand im ersten Akt ein eher trauriger Schwanengesang und nach kurzer Atempause dann auf rotem Teppich der Triumphmarsch für das Heldenepos des größten nicht nur Tennisspielers, sondern gleich größten österreichischen Sportlers aller Zeiten …

…und das in jener Gamsstadt, aus der immerhin ein Toni Sailer kam, der Pistenkönig, Golden Boy, Filmheld und Schlagerstar in einem war. Alles nur eine Frage der Regie und der authentischen Interpretation, nicht nach Muster gestrickt. Geschmackssache. Wie Energy Drinks. Sie können Flügel verleihen. Aber auch Fantasien übertreiben. Wer weiß, was Wien noch alles einfällt, wenn er für immer Adieu sagt. Und, wie es sich für einen Mann gehört, für den der ansonsten politisch eher kritische, weit realistischere TV-Sender dann Servus sagt. Oder doch teutonisch Tschüss.

Bei so viel Emotionen, so viel Sentimentalität, so viel an Lobpreisungen und Ehrerbietung von allen, vor allem des Turnierchefs Seiten, der sozusagen in eigener Sache das viel  zu kurze, viel zu einseitige Abschiedsspiel im Servus-TV kommentiert hatte, konnte Dominic Thiem gar nicht anders als zu sagen: Kitzbühel wird für immer in meinem Herzen bleiben! Wie Wien. Wie Melbourne. Wie Paris. Wie New York. Und natürlich die Noch-Gamsstadt schon der Bilanz wegen mit dem Turniersieg (gegen Ramos-Vinolas, der immer noch auf der Tour tingelt) und zwei Endspielen. 

Beim ersten und letzten Kitz-Auftritt kam das schnelle Aus. Der Kreis ist jetzt geschlossen. Viel zu früh gemessen an Federer, Djoker, Nadal oder Murray, für den er sich als Doppel-Olympia- und Triple-Grand-Slam-Sieger im Zeichen der von ihm hochgeschätzten fünf Ringe erst nach den Spielen in  Paris schließt. Thiem hat hingegen auch des Turniers unter Horn und Hahnenkamm wegen zweimal auf Olympia verzichtet, weil er noch genug Zeit dafür haben werde. Jetzt gab´s als Quittung keine Wildcard. Bei den internationalen Granden  ist´s leider in die falschen Kehlen gerutscht. Blöd gelaufen …

Fehlentscheidungen, die seit drei Jahren weit über die schwierige, langwierige Handgelenksverletzung hinaus Schatten über eine vor allem von Trainer-Guru Günter Bresnik geprägte steile, geile, tolle und schließlich mit dem Grand-Slam-Triumph gekrönte Karriere warfen. Ich hab ihn in Kitz erlebt, als er gegen die spanische Ball-Wand Gimeno-Traver zwar verlor, aber wie nun Schwärzler sein Potenzial andeutete. Ich hab erlebt, wie er im Generationenduell mit dem von Kitz-Zampano verschwiegenen, damals 43jährigen Muster leichtes Spiel in Wien hatte, wo er später Jo-Wilfried Tsonga an den Rand der Niederlage brachte. Ich war anfangs dabei, als er in Nizza (2015) seinen ersten Turniersieg feierte und er seinen Mentor Bresnik fragte: „Was macht denn der Metzger eigentlich da?“ Antwort Bresnik, der mich Jahrzehnte kannte: „Weil ihm´s G´spür  sagt, dass was kommt!“

Ich hab ihn auch meist auf Eigenkosten erlebt, als er in Roland Garros zumindest einen Satz lang als Neuling dem großen Nadal das Fürchten lehrte. Oder beim Drill-Training an spielfreien Turniertagen am Hamburger Rothenbaum und im Goldenen Park von Lyon, dem Erben von Nizza wie einmal Nizza als Erbe von Kitzbühel. Damals, als bei sengender Hitze und gnadenloser Härte unter Obhut des Mentors und des Physios der Schweiß so floss, dass als Preis für 17 Turniersiege und Sponsoren-Verträge der Rubel nur so rollte und rollte.   

Hier geht´s nicht darum, in alten Wunden zu rühren, sondern eine Erklärung zu finden, warum es seit dem US-Open-Sieg 2020 mit Thiem trotz steter Fortschritts-Refrains und Durchhalteparolen abgesehen von wenigen Ausreißern wie im Casino hieß: Rien ne va plus! Natürlich stimmt´s, dass Thiem erst im Jahr eins nach der Trennung von Bresnik die US-Open im epischen Duell mit Zverev gewonnen hat, aber wer weiß, ob er mit dem alten Mentor,  Manager und gestrengen väterlichen Coach jemals in ein so tiefes Loch gefallen wäre wie als eigener Herr, wie er selbst gestanden hat, obwohl er noch kein Herr, sondern immer noch ein Jungmann war.

Womit sich die Frage stellt, ob Thiem oder sein Team samt Zeit schon reif genug waren, um das Kind im Manne auszutreiben. Man muss ja nur schauen, wie binnen weniger Jahre alles in seinem immer familiäreren Umfeld mehrmals umgedreht wurde, bis man sich des Eindrucks nicht erwehren konnte, dass ein ehedem sportliches „Proven Product“ von allen möglichen „Unproven Products“ ins sportliche Nirwana verfügt wird – und das begleitet von Lobeshymnen des bulligen Partners, der den Endzwanziger in der Abwärtsspirale eingekauft hatte, der Thiem-Filme drehte, Thiem-Schauspiele im Kitz-Sommertheater inszenierte und mit verlängerten Armen und vorlauten Sprachrohren den mehrheitlich enthusiastischen Tennislaien so lange eine glorreiche Gegenwart vorgaukelte, bis  sie nun endgültig Vergangenheit ist.

Von jenen, die zuletzt an seinen Lippen hingen, waren nur wenige beim Anfang zum unaufhaltsamen Aufstieg dabei, dafür aber eher insofern am  ebenso unaufhaltsamen Fall  mitbeteiligt, dass für sie wie Thiem das Vokabel Selbstkritik tabu ist – und kritische, ehrliche Stimmen ein mittlerer Frevel oder gar eine Majestätsbeleidigung wurden. Am Beispiel des um den fabelhaften Tennistalents Thiem, des zweiten Grand-Slam-Sieger unseres Landes, eines der Ausnahmesportler Österreichs, aber trotz aller Triumphe dennoch unvollendeten Giganten, offenbaren sich ähnliche (mitunter verschwiegene) Spaltungs- und Trennungstendenzen wie in fast allen Bereichen des täglichen Lebens mit seinen doch nicht mehr so schönen Nebensächlichkeiten.

Der letzte Tango in Kitz wurde zur Herz-Schmerz-Geschichte, die in Wehmut an einen Thiem erinnerte, der mit seinem großartigen Tennis die Zuschauer begeisterte und keine überzogene Final-Curtain-Show nötig hatte zum Ruhme und Wohle der Regie…

PS: Nach dem Beifallsregen am Vortag kam Thiem auch gestern noch einmal vor den Vorhang, um sich buchstäblich im Doppelpack zu verabschieden. Die Fans durften ihn noch einmal kurz sehen, zwei Games zum 4:6-Satzausgleich und ein 2:10 verlorenes Champions-Tiebreak mit seinem deutschen Partner Altmaier gegen den (Miedler-losen) Kufsteiner Titelverteidiger Alexander Erler mit dem deutschen Ex-French-Open-Sieger (mit Krawietz) namens Mies, der Domi auch den letzten Genuss vermieste. Da Weissborn und Erler (mit Auslandspartnern) bei allem Respekt keine Kassenknüller als letzte Österreicher im Bewerb sind, muss jetzt RedBull-Storch Matteo Berrettini als neuer Publikumsliebling das Turnier mit seinen Auftritten beflügeln. Bis Freitag ist er ja dabei…

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