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Vom Kampf zum Krampf in Paris: Statt Don Carlos wurde Carlitos Glück und Ende gespielt

Paris, 9. Juni 2023, Roland Garros, Center Court Philippe Chatrier:  Semifinale der French Open im Tennis zwischen der neuen Nummer 1, Carlos Alcaraz, und der alten, am längsten dienenden Nummer 1, Novak Djokovic. Mehr als zwei Stunden lang hatten sie auf Augenhöhe und des Messers Schneide gekämpft, jeder der beiden je einen Satz gewonnen, ehe sich erst Djokovic massieren und dann Alcaraz behandeln ließ. Der eine aus Routine, der andere aus Krämpfen, die erst seine Hände und Arme, dann die Ober- und Unterschenkel gebeutelt hatten.

Eine höchst dramatische Situation, mit der Carlito unversehens konfrontiert war, aber auch eine prekäre für den Djoker, weil die Geschichte(n) wie die Erfahrungen lehren, dass im Sport nicht immer, aber immer wieder vermeintlich Weidwunde den un- und unterbewusst nur noch halbherzig attackierenden Gesunden ein Bein stellen können. Unsereins hat´s selbst einmal im Wien-Finale erlebt, als der humpelnde Brad Gilbert den zur Salzsäule erstarrten Karel Novacek entnervte, entwaffnete und besiegte.

Bei Alcaraz war´s anders, ganz anders, vor allem nicht hässlich. Während Carlito mehrmals andeutete, aufgeben zu wollen, wurde er von seinem Coach Juan Carlos Ferrero, der früheren Nr. 1 als ehemaligem Paris-Sieger aufgefordert, weiterzumachen, ob aus Fairness gegenüber den von Mitleid gepackten Fans, ob gar in der diffusen Hoffnung, Alcaraz könnte die Krämpfe sozusagen laufend und schlagend wieder aus dem Körper schütteln, womit ein überraschter Djoker womöglich nicht mehr rechnen würde. Was immer daran dran war oder nicht einmal ein sündiger Gedanke, ist ja obsolet, weil sich der Spanier dem Schicksal ergab, ohne sich mit Ausnahme weniger Ballwechsel wirklich gegen Djokovic zu wehren, der gerade so viel tat, um zu siegen.

Angesichts dieses Dramas, das sich zur spanischen Tragödie auswuchs, erinnerte ich mich des Gesprächs mit einem ehemaligen Grand-Slam-Sieger und langjährigen Weltklassespieler, welches ich einige Tage davor am Telefon geführt hatte. Dieser höchst erfahrene Mann hatte damals – lange vor Kurzhaar-Bobele im Eurosport-Matchball-Becker – auf die extreme Intensität, die immense Laufarbeit und die enorme Schlagkraft hingewiesen, mit der dieser blutjunge Spanier als jüngste Nummer 1 der Geschichte vermeintlich neue Dimensionen und Zukunftsperspektiven eröffnen würde.

Eine herzerfrischende Figur, ein mitreißendes Spiel, begeisternd für die Fans ebenso wie den Topstar i. R., der aber in einem Atemzug anmerkte, welch hohen Tribut der Jung-Twen für diesen exorbitanten Aufwand, verbunden mit großem Substanzverlust, in noch jungen Jahren zahlen würde, ja auch schon einmal mit der Monate langen Zwangspause von US-Open über die Australien Open hinaus bis Indian Wells bezahlt hätte. Bewunderung für sein tolles Tennis hin oder her, die Bedrohung wäre nicht von der Hand zu weisen, dass sich Carlito schon Mitte der 20 ständig mit ähnlichen Wehwehchen oder ärgeren Verletzungen werde herumschlagen müssen wie sein Vorbild Rafael Nadal jenseits der 30.

Statt Don Carlos wurde in Paris schon gestern die Tennis-Tragödie Carlitos Glück und Ende aufgeführt. Dass die Prognose eines echten  Kenners und alten Könners binnen Tagen von der Realität eingeholt werden könnte, das hätte sich selbst der autorisierte „Wahrsager“ so schnell nicht erwartet. Für Alcaraz und Ferrero war´s eine ebenso schmerzhafte wie bittere Lektion, die dem nicht allseits geliebten, gerade 36jährigen Novak Djokovic aber am finalen Sonntag die große Chance gibt, im Duell mit dem alten, neuen Paris-Finalisten Casper Ruud aus Norwegen seinen 23. Grand-Slam-Sieg zu feiern – und damit wohl einen Rekord für die Ewigkeit aufzustellen. Welches Stück erleben  wir?

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