Vom Mann hinter Sinner, der Schützlingen offenbar Flügel verleiht
Josef Metzger
Man wusste spätestens seit der Vorrunde der ATP-Finals in Turin, dass Jannik Sinner es eine harte Nuss sein würde, aber da man auch das Stehaufmännchen Djokovic und seine 10 Melbourne-Titel kannte, war´s letztlich doch eine Überraschung, wie leicht der Titelverteidiger vom Herausforderer geknackt wurde. Auch für mich, der trotz manch schwächelnder Vorstellungen des Serben in Australien gedacht hatte, der „Djoker“ würde wie immer dann stechen, wenn es um alles oder nichts geht.
Ein Irrtum, aber tröstlich, dass irren so menschlich ist wie der 38-jährige Djokovic, dessen Traum vom ersten Jahres-Grand-Slam seit dem legendären Rod Laver, dem Namensgeber der großen Arena, wohl für immer geplatzt ist. Zurück bleibt ein 24fache Major-Sieger, der auf allen Belägen triumphiert hat, der erfolgreichste Spieler und die am längsten dienende Nummer 1 aller Zeiten, dem nicht immer und überall die Herzen so zuflogen wie seinen Erfolgszwillingen Federer und Nadal. Wie es scheint und das fortgeschrittene Alter sagt, dürfte die Tenniswelt den Anfang vom Untergang einer Ära erlebt haben.
Der König ist tot, es lebe der König, so würde man als Südtirol-Freund ja am liebsten schon jetzt sagen, hätte der Jung-Twen aus Innichen, der im Herbst in Wien triumphiert hate, in Melbourne bereits sein erstes Grand-Slam-Turnier gewonnen. Welch solide Basis der Schlaks oder „Storch“ von jenseits der Osttiroler Grenze genossen und welches Potenzial er in seinem Arsenal an Schlägen hat, das war seit längerem bekannt. Dass er aber binnen weniger Monate immer besser wurde, immer erfolgreicher spielte, seinen ersten Masters-Titel gewann und mit seinem zweiten Sieg gegen Djokovic auch den italienischen Daviscup-Triumph vorbereitete, dafür war jener Coach mitverantwortlich, den er erst vor einem guten Jahr verpflichtet hatte.
Der Mann im Hintergrund, der inzwischen neben Langzeitbetreuer Vagnozzi erste Reihe Mitte in der Spielerbox sitzt, heißt Darren Cahill, mittlerweile 58-jähriger Australier. Ich hab Cahill vor knapp 35 Jahren in Gstaad so richtig wahrgenommen, als er den vom Viertelfinalsieg gegen Andres Gomez erschöpften Horst Skoff mit 6:1, 6:1 vom Platz gefegt hatte. Es war einer der größten Einzelerfolge des aufschlagstarken Doppelspezialisten (14 Titel ATP, WCT), aus dem in der Karriere nach der Karriere einer der besten Coaches schlüpfte.
Cahill hat Lleyton Hewitt geformt, Andre Agassi von der abgestürzten Nr. 144 zum Paris-Sieger 1999 gemacht und die jetzt gesperrte Simona Halep, für die er aber die Hand ins Feuer legt, zu zwei Grand-Slam-Siegen, Nummer 1 und längst dienenden Top-10-Spielerin geführt. Sein Geheimnis könnte sein, dass er aus all dem, was ihm einst zum Topstar gefehlt hat, als Coach die Lektionen gelernt hat, um sie seinen Schützling einzutrichtern. Darunter auch jene Fehler zu vermeiden, die er selbst begangen hat. Mehr Wuzi als Wunder…
Weil er in Sinner sah, welch Rohdiamant da geschliffen werden kann, hat er sich als Familienmensch eigens noch die Zeit und auch etwas Kleingeld genommen, aus der zweiten Südtiroler Tennishoffnung nach Andreas Seppi vom Kalterer See einen neuen Superstar der Szene zu machen. Allmählich beginnt sich der auch körperlich immer bessere Universalkönner in Jannik durchzusetzen. Er hat, wie es einst der legendäre Günther Bosch vom damaligen Wunderkind Boris Becker gesagt hatte, alle Tricks und im Ernstfall einen mehr in der (Hosen) Tasche.
So viele, dass er damit die mit kurzen Unterbrechungen seit 15 Jahren anhaltende Djokovic-Ära abservieren konnte und meines Wissens nach erst einen Satz abgeben musste auf dem Weg ins Premieren-Grand-Slam-Finale. Nicht nur der Sponsor, auch Cahill verleiht offenbar Flügel …
PS. Jetzt leibt nur noch die Einser-Frage in Melbourne – erster Grand-Slam-Sieg für Sinner und Südtirol oder zweiter Grand-Slam-Titel für den russischen Bären Daniil Medwedew, der aus einem 0:2 gegen Sascha Zverev in einem Tennis-Krimi über 4:18-Stunden einen 5-Satz-Sieg machte. Und damit zum dritten Mal im Melbourne-Finale steht.