Sie können mich jetzt einen Ewiggestrigen schimpfen, der nur die Vergangenheit verklärt, ohne die Gegenwart euphorisch zu bejubeln. Es geht um American Football, hierzulande trotz angekurbelter PR immer noch ein sportliches Minderheitenprogramm. Und es geht um einen seit geraumer Zeit in Michigan lebenden Burgenländer namens Bernhard Raimann, einen Lackel von einem Mann, der sich in verschiedenen Positionen so interessant gemacht hat, dass er jetzt beim sogenannten NFL-„Draft“
für die Saison 2022/23 verpflichtet wurde – als 77. von 250 möglichen „Picks“. Eine tolle Sache, keine Frage. Aber wirklich so historisch, wie das jetzt in Schlagzeilen verkündet, ja posaunt wird?
Wenn man Pick sagt, dann stimmt das tatsächlich. Wenn dabei aber quasi auch unterschwellig der Eindruck vermittelt wird oder werden soll, der zweifellos talentierte Burgenländer vom Steinbrunner See bei Neufeld hätte etwas geschafft, was es noch nie gegeben hat, dann handelt es sich dabei um eine Vorspiegelung falscher Tatsachen. Abgesehen davon, dass mit Sandro Platzgummer (von den New York Giants) und Bernhard Seikovits (von den Arizona Cardinals) zwei Österreicher bei NFL-Klubs unter Vertrag stehen, es aber nicht in den finalen Roster (53 Mann) geschafft haben, hat Rotweißrot eine tolle Vergangenheit im American Football. Nicht bei den regulären Feldspielern, dafür aber jenen, die dann, wenn es darauf ankam, entscheidende „Field-Goals“ geschossen haben.
Raimann hin, Colts-Pick her – wer Football in Österreich sagt, der muss, nein: sollte Toni Fritsch meinen, der als Wembley-Toni in die Fußball-Annalen eingegangen ist und als Superbowl-Sieger mit den Dallas Cowboys tatsächlich ebenso Historisches vollbrachte wie mit zwei Nominierungen fürs All-Star-Team, für alles dekoriert mit Siegelringen! Kicker wie Toni, der Fritsch, (Dallas, San Diego, New Orleans, Houston), oder Kicker wie Toni, der Linhart (New Orleans, Baltimore, damals Colts), oder Kicker wie Gunter Enz (San Diego Chargers, Pre-Season-Games, Degn-TV-Team dabei) wurden in der NFL-Profi-Pionierzeit von Commissioners wie einem Bob Kap(kovich) begutachtet und vom Fleck weg engagiert, also so etwas wie ein „private pick“ in Europa, und dann, wenn sie zustimmten, nach Amerika transferiert.
Und wenn dabei auch der Name von Ray Wersching fällt, der als Freekicker mit den San Francisco 49ers sogar zwei Super Bowls geholt hat, dann wär´s auch wieder Vorspiegelung falscher Tatsachen. Toni (Jahrgang 1945 + 2005) und Ray (Jahrgang 1950) haben zwar eher schlecht als recht gemeinsam ein Jahr bei den San Diego-Chargers gespielt, aber der Österreich-Bezug von Ray, Kind deutschsprachiger, jugoslawischer Flüchtlingseltern, beschränkte sich auf seine Geburt in Mondsee. Als kaum Zweijähriger kam er schon nach Kalifornien. Sein Deutsch engt sich auf jene Worte ein, die Toni Fritsch auf Englisch beherrscht hatte, als er 1971 als „Kap-Pick“ von Wien und Hütteldorf nach USA und Dallas wechselte: Yes und No!
Und diese zwei Worte, so finde ich, sind auch treffend für den Raimann-Draft zu den Indianapolis Colts. Eine tolle Sache, historisch nur im weiteren Sinn, denn wirklich historisch war erstens der Wechsel von Fritsch in die NFL, sein Super Bowl-Triumph und, was nur noch die wenigsten wissen, ein Pre-Season-Game zweier NFL-Klubs vor etwa 20.000 eher ahnungslosen Neugierigen im Prater-Stadion. Eine historische Premiere, die wirklich nur einmal stattfand. Was Raimann bei den Colts macht und wird, liegt allerdings ausschließlich an ihm und an seiner Entwicklung. Nur zu wünschen, dass er und es bei den Colts kein Schuss aus der Hüfte bleibt … Und Bernhard R. als historische Figur in die Geschichte eingeht wie der unvergessene Toni Fritsch. Geschichte hat halt mit Gestern zu tun. Ewig.