Gerade erst haben wir unseren Skikaiser Franz zum Siebziger gratuliert, da müssen wir den Deutschen zum nicht unerwarteten Tod ihres Fussballkaisers Franz kondolieren. Viele alte Wegbegleiter und Freunde waren seit Wochen darauf gefasst gewesen, mannwusste, dass seine Tage gezählt sein würden und und doch macht auch unsereins der Tod von Franz Beckenbauer betroffen. Ja, was hat der Franz, diese so elegante, feinfühlige, liebenswerte, selbst in ihrer Kritik nie beißend-bissige Ikone des deutschen Fußballs in den letzten Lebensjahren alles mitmachen müssen!
Mit wenigen Ausnahmen kam er in den gleichen Medien, die ihn Jahrzehnte in den Himmel gehoben hatten, in des Teufels Küche. Angeblich wegen fünf Millionen an unversteuerter Provision im Countdown zu dem von ihm ins vereinte deutsche Lande geholten WM 2006. Wer weiß post festum wie mortem, ob es ohne „kaiserlichen“ Testimonial Beckenbauer je das schon legendäre Sommermärchen gegeben hätte, bei dem Deutschland mehr als nur Bronze gewann, auch nicht nur Millionen verdiente, sondern in den Milliarden, die es kassierte, noch einige Jahre badete ..
Die Vorwürfe bis zu Anklagen und Verfahren, die fast alle eingestellt wurden, gingen dem zuvor so umtriebigen, weitgereisten, weltgewandten und doch im bajuwarisch-tirolerisch-salzburgerischen Raum für immer verwurzelten Postmeistersohn aus München buchstäblich ans Herz. Sie raubten ihm die Gesundheit und dazu noch viel vom Augenlicht.
Einst war er als Lichtgestalt auch eine Zentralfigur des Gesellschaftslebens und der Bussi-Bussi-Society gewesen, die ihn am liebsten durchs Schlüsselloch verfolgt hätte. Und wie auf Befehl wurde eben dieser Kaiser Franz mit seinen FIFA- und Kicker-Freunden Blatter und Platini dann (davon-) gejagt wie ein Verbrecher, der einen Jackpot geknackt und gestohlen hat. Vom Volkshelden zum Geächteten. So geht das in einer Welt der Selbstgerechten.
Ich hab´ das Glück gehabt, den Franz auf seine alten Fußballtage näher kennen- und schätzen zu lernen. Nicht in Kitz, nicht in Salzburg, nicht in München, sondern in – New York, wohin er nach der Bayern-Karriere als Pele-Nachfolger zu den Cosmos der Türken-Brüder Ertegün gewechselt war. Im Regency Hotel, Park Avenue, wo er anfangs gewohnt hatte und wo es einen Nachtportier aus der Esterhazy-Dynastie gab, haben wir uns damals mehrmals getroffen beim Frühstück – einmal neben Präsidenten-Mama Carter und Hollywood-Star John Travolta, alles sozusagen inkognito.
Damals, als Fußball, im Vergleich zum American Football eher abwertend Soccer genannt, in den USA noch in den Kinderschuhen steckte, der Franz aber prophezeit hatte, dass er auch Nordamerika erobern würde – auf dem Umweg über High-School, College, Universitäten, die a la longue eine Profiliga mit jungen Kickern und nicht nur alten Helden aus klassischen Fußballländern füttern würden.
Beckenbauer hat sich nur geirrt, was das Tempo des „Feldzuges“ betrifft, hat aber im Grunde recht behalten, wobei die US-Frauen den Männern voraus sind. Wirklich geirrt hat er sich nach dem WM-Triumph als Teamchef anno 1990 in Rom, als er gemeint hatte, der deutsche Fußball wäre nach der Wiedervereinigung so gut wie unschlagbar. Dass es derart bergab gehen würde wie nach dem WM-Titel 2014, das hätte er sich nie gedacht oder erwartet…
Hatte Fritz Walter als Spielführer des WM-Wunders von Bern auch die deutsche Nachkriegs-Auferstehung symbolisiert, so verkörperte das elegante, aber wenn´s sein musste wie 1974 beim WM-Triumph im heimischen München auch mit Leidenschaft grätschende, bis zum Umfallen kämpfende, mit den Jahren gereifte bayrische Wunderkind Beckenbauer die Metamorphose zum Wirtschaftswunderland, zu dem alles aufschaute.
Nicht nur Franz, nicht nur Lichtgestalt, sondern Kaiser von Kopf bis Fuß, Scheitel bis zur Sohle. Stargast nicht nur in Stadien und Studios, sondern auch bei Festspielen von Salzburg bis Bayreuth, wo er mit seinen bayrischen Polit- und Klub-Bossen als Aufputz diente. Überdrüber und doch Mann des Volkes, der oft das in schlichter, einfacher Größe sagte, was sich viele in verzwickten Situationen dachten: Schau mer mal…
Mit dem damaligen Teenager hatte unter dem schlitzohrigen Jugo-Trainer „Tschik“ Cajkovski auch der Aufstieg des vordem von den 1860er-Löwen überschatteten FC Bayern München mit dem Europacupsieg 1967 begonnen, ein Jahr nach dem bitteren 2:4 der deutschen Elf gegen England im WM-Finale mit mit dem legendären Wembley-Tor. Beckenbauer führte die Bayern zu Meistertiteln, zu aufeinander folgenden Meistercup-Triumphen und zum zweiten WM-Titel nach 20 Jahren. Nach dem Cosmos-Intermezzo partnerte der Ur-Bayer mit dem Ur-Wiener Happel an der Waterkant beim HSV, um die Basis zu legen für Titel und Meistercup-Triumph, bei dem er nicht mehr dabei war.
Nach der 92-jährig vor wenigen Tagen verstorbenen Brasilien-Legende Zagalo war Kaiser Franz erst der zweite Star, der sowohl als Spieler als auch als Teamchef den WM-Titel gewann – vier Jahre nach dem gegen Argentinien (2:3) verlorenen Endspiel. Als erfolgreicher Interimscoach sprang er immer wieder bei den Bayern ein, um sie auch noch zum UEFA-Cup-Sieg zu führen.
Die einzige Pleite erlebte der erfolgsverwöhnte Kaiser, als er nach dem WM-Sieg1990, gedrängt vom später verurteilten Bernard Tapie, den französischen Millionenklub Olympique Marseille übernahm – des Französischen nicht mächtig und darum damals gewissermaßen ohnmächtig in einer (Pre-Bosman) fast nur französischen Truppe. Ich erinnere mich, als wär´s gestern, als mich damals der mittlerweile verstorbene Adi Pinter, ein bunter, aber polyglotter Trainer-Vogel, in der „Presse“-Redaktion (damals im Marriott-Komplex) inständig bat, doch den Franz in Marseille anzurufen, ich hätte ja seine Handy-Nummer. Gesagt, getan – und Beckenbauer, ganz Franz und kein Hauch an Kaiser, war überglücklich, mit mir und dem Adi plaudern zu können. Ja, am Schluss des Gespräches hat er sich sogar noch für den Anruf bedankt. Zum Pinter-Engagement als Assistent kam´s nicht mehr, weil Beckenbauer in die Wüste geschickt wurde…
Der eine oder andere Wegbegleiter oder besser: Abschotter der doch so bodenständigen Lichtgestalt mag´s nicht gerne hören oder lesen, aber eben diese persönlichen Bodyguards hatten auch ein gerüttelt Maß an Schuld, dass der Kaiser auch medial immer mehr zu einem Sündenbock schrumpfte, der sich in den letzten Lebensjahren von der Öffentlichkeit wie von der Vergangenheit sozusagen abkoppelte. Ich bin mir sicher, dass in Zeiten wie diesen all jene, die seinen Ruf zu ruinieren trachteten und die Hölle heiß gemacht hatten, jetzt aus den Löchern kriechen, um ihn in den Himmel zu heben. Ich würd´s dem Freund Franz wünschen, dass er dort landet. Und endlich in Frieden ruht.