Hätte ich gewettet, hätte ich verloren. Aber wie schon Wilhelm Busch und nicht Goethe gesagt hat: Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. Darum hat der griechische Australier Nick Kyrgios, der davor den Titelverteidiger Medwedew entthront und sich selbst als Mann der Stunde quasi zum Thronprätendenten stilisiert hat, als Favorit gegen Karen Khachanow im Viertelfinale der US-Open in fünf Sätzen verloren.
Just gegen Khachanow, den als schwächsten eingestuften der drei Top-Russen, die ja aus politischer Korrektheit nicht als Russen auftreten dürfen. Aber halt? War dieser Karen … Ja, richtig: Khachanow war und ist als Aufschlagkanone auf Hartplätzen nicht nur gefürchtet, sondern eine Macht. Wär´s anders, hätte er ja nicht im Vorjahr in Tokio erst im Finale gegen Alexander Zverev verloren, aber die olympische Silbermedaille gewonnen!
Was sagt uns der Sieg und Einzug des russischen Außenseiters ins Semifinale? Wenn es jene glorreichen Drei nicht mehr gibt bei einem Grand-Slam-Turnier, die zwei Jahrzehnte dem (Herren)-Tennis ihren Stempel so aufgedrückt haben wie phasenweise der Williams-SisterAct bei den Damen, dann kann unter den verbliebenen Viertelfinalisten jeder jeden schlagen, ob so knapp wie Khachanow einen Kyrgios oder so glatt wie Casper Ruud seinen Gstaad-Finalgegner Berrettini. Umso gespannter hab zumindest ich das Duell zwischen dem Südtiroler Jannik Sinner, 21, und dem spanischen Teenager Carlos Alcaraz, 19, erwartet, also den Schlagabtausch der dritten Generation, die in ähnlich jungen Jahren wie ehedem das Federer-Nadal-Djokovic-Trio schon nach den Sternen greift.
Und höchst interessant wird´s auch, was sich in Flushing Meadow abspielt, wenn der Nadal-Bezwinger und Ashe-Erbe namens Frances Tiafoe als letzter US-Amerikaner ausgerechnet auf einen Russen trifft, der Russe bleibt, auch wenn sein Herkunftsland partout nicht genannt werden darf. Wie gesagt: Alles möglich, alles drin, nichts ausgeschlossen, dass einer, auf den die (Sport)-Wetten auf 1:100 standen, triumphiert. Und mit ihm alle den Jackpot knacken, die auf ihn gesetzt haben. So ist es, wenn jeder aus den beiden nächsten Generationen mittlerweile jeden schlagen kann.
Eine Entwicklung, die dem um ein Comeback ringenden Dominic Thiem nicht unbedingt entgegenkommt, weil die junge, zumindest so schlagkräftige, wenn nicht noch härter schlagende, noch schneller spielende Garde das Niveau im heutigen Tennis ein weiteres Stückchen noch oben geschraubt hat, es für unseren ehemaligen US-Open-Sieger (2020) und Weltranglistendritten nicht mehr genügt, an alte Zeiten anzuknüpfen, sondern neue Kapitel mit neuen Stärken und noch weniger Schwächen aufzuschlagen. Das ist die Mammut-Herausforderung, vor der Thiem steht.
Aber auch ohne ihn als NÖ-Lokalmatador kann, muss und darf es kein Problem sein und nur eine Pflichtaufgabe werden, dass unsere zweite ÖTV-Garnitur mit Rodionow, Misolic und Co die eher auf Hartplätzen denn auf Sand aufgewachsenen Pakistani im Kampf um die Daviscup-Beletage in Tulln besiegt. Nicht auszudenken, dass es anders kommt, obschon einige Resultate beim Tulln-Challenger aus rotweißroter Perspektive schon gemischte Gefühle erzeugen.