Boxen

leksander Usyk oder: Wer kennt schon den Boxweltmeister aller Klassen?

afp

Bevor heute noch offene Titelentscheidungen  im Fußball fallen, bevor das größte Zehnkampfmeeting mit Königen und Kronprinzen im kleinen Götzis in die Zielgeraden geht, bevor im Gio d´Italia vom Gardasee bis nach Livigno geklettert wird und in Rom ein Riesenduell um den Masters-Sieg in Szene geht, und bevor wir uns im Eishockey mit Norwegen, also Unsersgleichen, auseinandersetzen, möchte ich mit einem sportlichen Thema beschäftigen, das hierzulande anders als einst im Mai oder besser Ali, Frazier, Tyson und Co. eben keines mehr oder nur noch eine Randnotiz wert ist.

Gut möglich, dass mich einige wieder als Mann on gestern betrachten, der nicht mehr am Ball oder Gong ist, um im Fachjargon zu sprechen. Aber wenn in höre und lese, vom Sonntags-Bild ins rechte Licht gesetzt, dass sich ein ungeschlagener Ukrainer namens Oleksander Usyk, stolze 37, in einem Schwergewichts-Vereinigungskampf rivalisierender Boxverbände gegen den angeblich exzentrischen Briten Tyson Fury, mit 35 auch kein Jüngling mehr, mitten in der Saudi-Wüste im Kampf des Jahrhunderts zum Weltmeister aller Weltmeister gekrönt hat, elektrisierte mich das so, als würde in Peking ein Radl umfallen…

Kampf des Jahrhunderts oder gar Jahrtausends? Dass ich nicht lache ob solch maßloser Übertreibung von PR-Fritzen, die eben solchen Unsinn den bis vor kurzem so gut wie vom Sport befreiten Saudis samt irrsinnigen Gagen für weltweite (an populären Vorgängern gemessenen) Nullen unterjubeln. Ich kenne aus meinem Sportfreundeskreis jedenfalls keinen, der viel Geld fürs Pay-TV bezahlt hätte, um sich Usyk vs. Fury einzuziehen, obwohl zumindest der Vorname des entthronten britischen Champions mit Tyson von furchterregender bissiger Ironie ist.

Jedenfalls würde auch keiner meiner Kommilitonen den Wecker für 2, 3 oder 4 Uhr früh stellen, um zeitgerecht alarmiert zu werden: Beim Gongschlag beginnt ein Schlagabtausch, auf den die ganze (Sport)Welt schon seit Wochen mit tollen Countdown-Stories lauert. Wie damals, als das prophetische Großmaul Muhammad Ali noch als Cassius Clay gegen den hässlichen Bären Sonny Liston zweimal (samt Phantom-Schlag) gewann, als Kriegsdienstverweigerer abgesetzt, gesperrt, begnadigt und beim gelungenen Comeback von Joe Frazier in einem echten Kampf des Jahrhunderts am 8. März 1971 im New Yorker Box-Tempel Madison Square Garden besiegt wurde.

Und der sich später im Thriller von Manila endgültig an Smoking Joe revanchierte, ehe er beim immer noch anrüchigen „Rumble in the Jungle“ von Kinshasa, Kongo, jenen Olympiasieger und Weltmeister George Foreman entthronte, der sich nach zehnjähriger Ring-Abstinenz als Neo-Evangelist und Prediger wieder die Boxhandschuhe anzog, um mit zarten 46 Jahren der älteste Schwergewichts-Champion zu werden – mit Glatze statt dichtem Haar, gutmütigem Lächeln statt bösem, undurchdringlichem Blick. Und dann kamen noch die Tysons, Holmes´, Lennox Lewis´ und die via RTL und Bild vor allem PR-mäßig aufgebauten Klitschko-Wende-Brüder, die jetzt ganz andere Rollen spielen. Wie Vitali Klitschko, der Bürgermeister von Kiew und damit Landsmann des neuen Solo-Weltmeisters Usyk.

Kein Wunder, dass er selbst seinen Sieg selbstredend und wie bestellt politisch interpretierte – als Symbol der Schlagkraft, die auch in der ukrainischen Armee stecken würde. Ob es abseits vom weltweit wohl eingeschränkten Interesse auch das nötige politische Echo gefunden hat, wage ich zu bezweifeln. Von 10 Leuten, die zumindest peripher mit Sport zu tun haben, wussten überspitzt formuliert elf nicht, wer dieser Oleksander Usyk sein soll. So ändern sich halt die Zeiten auch im Sport und mit Sportarten, die in Wohlstandsgesellschaften kaum mehr einen Platz haben.

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