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Vom genial-skurrilen „Wötmasta“ Happel, dem verhinderten Weltmeister, der Samstag 100 Jahre würde

Manch eine (r) der jüngeren Semester mag mich vielleicht für einen Grufti halten, weil ich zu speziellen Anlässen so oft Jubiläumsgeschichten über unsere alten Sporthelden verfasse. Nach der Story zum 90er von Toni Sailer kann ich aber nicht umhin, mich schon heute an einem der sportlich dünneren, aber für die zuletzt besiegten Rapidler bitteren  Tage mit der einzigartigen, ebenso erfolgreichen wie skurrilen Figur des grünweißen „Wötmasters“ Ernst Happel zu beschäftigen. Am 29. November hätte er seinen Hunderter, ist aber allzu früh schon 1992 nach einem mehr als vollbrachten Fußballleben verblichen. Als Kicker zwischen Genie und Wahnsinn, als Mensch zwischen Grantler, Grübler und Gutmütigkeit. Ein Mann, der nicht nur Kicker-Talent in die Wiege gelegt bekommen hatte, der zwar auch der Kriegs- und Nachkriegswehen wegen manch Bildungsdefizit besaß, aber über seinen unglaublichen Fußballverstand hinaus über eine Grundintelligenz verfügte, die ihm zu Siegen, Titeln und im Fußball zu Weltruf verhalf. Kein Klugscheißer,, sondern ein Schlaumeier, der den Fußball, so blöd´s klingt, im kleinen Finger hatte.

Ich war noch ein keiner Bub, als Happel bei Rapid und im Team als genialer Abwehr-Bruder Leichtsinn zu einer Größe geworden war, die eigener Schilderungen nach als Kriegsgefangener der  Sowjets ein Vabanque-Spiel auf Leben und Tod gewonnen hatte: Happel im O-Ton: „Unser Tross musste von Wien Richtung St. Pölten gehen, ohne zu wissen, was mit uns g´schicht. I hab dem  Kommandanten mt Händ´und Fiaß deut,  dass i dringend muss, ob i dös  a derf. So bin  i abghaut und in die andere Richtung Hütteldorf marschiert, immer in der Angst, dass mi dawischen…“ Guat is´gangen, nix is g´schehen. Triumph des wagemutigen Mutterwitzes.

Mit seinem Können, seiner Technik, seiner Schusskraft, seiner Präzision und seinem Durchblick wurde er vom Fan- und Fußvolk taxfrei zum „Wötmasta“ befördert, was eine Ironie des Schicksals war und blieb, weil der Ernstl immer dann, wenn eine WM für eines seiner Teams zum Greifen hahe war, vom Pech verfolgt und verflucht wurde. Wie 1954 in der Schweiz, als er nach dem 1:6 im Semifinale gegen den späteren Sensationsweltmeister Deutschland zum Sündenbock erklärt und fürs 3:1 mit Bronzemedaille gegen Titelverteidiger Uruguay aus der Startelf verbannt  und durch Kollmann (Wacker) ersetzt wurde.

Und 24 Jahre später stand er als Brügge- und zugleich Bond-Coach der Holländer kurz vor dem Triumph im Finale gegen Argentinien, als Anderlecht-Legionär Rensenbrink in Minute 90 vermeintlich das Siegestor schießen würde, der teuflische Ball aber von der Stange zurück ins Feld sprang. Argentinien siegte in der Verlängerung 3:1. Und Happel saß dann lange mit meinem alten Kollegen Peter Linden, damals noch für die „Presse“ aktiv, an der Hotelbar, um mit ihm zu philosophieren, was gewesen wäre, wenn …

Ja, was wäre auch im Herbst 1956 gewesen, wäre der Frankreich-Heimkehrer  Happel (Racing Paris) mit Rapid gegen Real Madrid nicht am finanziellen Schacher gescheitert. Hätte es damals schon die erst kürzlich wieder abgeschaffte Auswärtstorregel, hätten die Grünen nach dem 2:4 im Bernabeu-Stadion  und dem 3:1 im winterlichen Prater das Weiße Ballett dank dreier Happel-Tore (2x Freistoß, 1 Elfer) eliminiert. Konjunktiv. Weil es damals kein Elferschießen, sondern ein drittes Match gab, das der damalige Rapid-Sekretär Rudi Schick gegen gutes Geld an die Spanier mit den eingebürgerten Südamerika-Superstars Santamaria und Di Stefano verkaufte – mit 0:2 in Madrid und Aus statt möglichem Aufstieges. Zwei Jahre später, als Österreich bei der Schweden-WM am späteren Weltmeister Brasilien (noch ohne Pele, aber mit Mazzola vulgo Altafini), England und Sowjetunion mit einem Pünktchen scheiterte, wurde der Fenstergucker-Seitenspringer Happel, nie Kind von Traurigkeit, wieder zum Buhmann und Sargnagel der Hoffnungen erklärt – unter dem Simmering-Austria-Funktionär und journalistischem Express-Sportchef Josef „Pepi“ Argauer als WM-Bundeskapitän. Unvorstellbar, aber damals Tatsache…

Fakten, die zeigen, dass sich der verhinderte Wötmasta“ seine Hörner als einer der erfolgreichsten Gurus der Fußballgeschichte erst nach Österreich-, Frankreich – und Rapid-Zeiten in Holland abstoßen und den Ruf, den totalen Fußball erfunden zu haben, erarbeiten musste. Und dabei fing Happel unten an, bei ADO den Haag, wo er fast gescheitert wäre. Aus fast wurde der Wechsel zu Feyenoord Rotterdam und zu Triumphzügen, die mit dem Sieg im Europacup gegen Celtic Glasgow und Weltcup der Meister gegen Estudiantes Buenos Aires endete. Und dem Empfang bei Königin Juliane, der speziellen Österreich-Freundin. Von Happel und seinem Ex-Rapidler Franz Hasil, den er von Schalke 04 und dem verrücktem Trainer Rudi Gutendorf als Spielmacher geholt und, wie man beI uns in Wien immer noch sagt, „die Wadln füre g´richt hat,“

Happel, in seiner aktiven Zeit alles andere denn ein Muster an Disziplin, hatte aus seinen einstigen Fehlern – , auch in Paris bei Racing – so viel gelernt, dass für ihn Selbstdisziplin und Selbstüberwindung das A und O des Fußballs wurden. Kreative Freiheit, taktische Disziplin, Härte gegen sich selbst: Als Feyenoord-Frischling Hasil jeierte, dass Teamkollegen wie der grimmige Abwehrrecke Israel im Training zu sehr zur Sache und  ihm über die Strümpf gehen würden, stellte ihn Happel mitleidlos vor die Alternative: „Wennst net mitmachen wüllst, kannst hamfahrn!“ Franzi überwand sich und den inneren Schweinehund, um eine Legende zu werden, der man in Rotterdam ein Denkmal setzte und ebendort gratis die Öffis benutzen lässt auf Lebzeiten.

Fern der Heimat des Urwieners und doch Weltmannes Happel schlich sich beim Ernstl ein Kauderwelsch an Sprachmischmasch ein, vom Wiener Dialekt bis zum plattdeutschen Idiom, das nur jene verstanden, die nach seiner Rücklehr nach Deutschland (zum HSV, der mit Beckenbauer, Kaltz und dem Torschützen Magath den Meistercup 82 gewann) und später zum FC Tirol und noch später als ÖFB-Teamchef mit ihm häufig parlierten. Happel führte ein strenges Regiment am Innsbrucker Ticoli, wo ihn sich Sponsor Gernot Langes-Swarovski als gewöhnungsbedürftiges Aushängeschild samt Hansi Müller oder den argentinischen Teanspieler Gorosito leistete. Zwei der großen Topstaars, die der Cheftrainer sogar Monate hinweg dunsten ließ, bis sie topfit waren, um spielen zu dürfen.

Happel, kein G´studierter, aber einer, der seine Grenzen kannte, holte damals als Konditionschef den Sportwissenschaftler Leitgeb von der Uni Innsbruck, dem er sagte, warum er wo bei den“Speelers“ den Hebel ansetzen sollte. Was das Nervenkostüm betraf, so hielt er sich verbal an Oranje: „Was brauchst zum G´winnen is a Mental Flak.“ Mentale Stärke zu seinem spielerischen G´spür, das er nur direkt mit seiner Zunge den Kickern vermitteln konnte. Als er, wie sein langjähriger Rapid-Freund, aber späterer Bild-Zeitung-Todfeind Max Merkel in Madrid, mit einem Dolmetsch beim FC Sevilla zu einer Topgage anheuerte, war´s um ihn  geschehen, Unübersetzbare Sprache. Nicht umsetzbare Taktik. Schluss mit lustig. Ende mit Schrecken statt hochbezahlter Schrecken ohne Ende. Er war anders als zu Spielerzeiten eniorm konsequent.

Persönlich hab´  ich den von mir als Kind bewunderten und bei seinen Erfolgen auch dank Hasil medial stets aufmerksam verfolgten Happel erst richtig kennenlernen dürfen, als er zurück nach Österreich kam, um hier den Lebensabend zu verbringen und auf den Tod auf der Trainerbank zu warten. Als ich einmal beim Teamtraining in Wr. Neudorf besuchte, einen der damals kleinen Söhne am Buckel, hat er mich ang‘ ´schaut und gsagt: ,“Der is dir ja aus’m G sicht grissen!“ Und ein anderes Mal hat er mich, angestiftet von Peter Pacult, nach einem 1:3 des Meisters Tirol bei Vienna auf der Hohen Warte gemaßregelt, weil ich seine teure Mannschaft „a Hundstrupp´n“ genannt hatte. damals kam er eigens aus der Kabine, um zu sagen: „Metzger, mir samma Menschen und, ganz auf Hochdeutsch, keine Hundetruppe, hast verstanden …?“ Und dann schilderte er mir sein Verhältnis zum Sohn, der ausschaut wie er, damals bei Korean Air im Management. Happel O-Ton: „Erst muss mia da Bua zag´n, dass er reif is fürs Leben und net glaubt, dass a scho jetzt von mei´m Erbe leben kann!“ 

Ja, so war er, der Ernstl. Wen er ins Herz geschlossen hatte, der war sakrosankt für ihn, wen er nicht mochte, der war Luft. Bei Freunden blitzten seine schelmischen Augen. Da lief nicht nur beim Kartenspiel im Ottakringer Lieblings-Cafe Ritter der Wiener Schmäh, wenn auch halb plattdeutsch, ganz so, wie er sich auch in Holland, Belgien (Standard Lüttich, FC Brügge; Europacupfinalist mit sechs Reservisten und Edi Krieger mit 0:1 in Wembley gegen Liverpool) und Hamburg mit ganz spezieller Wiener Küche („Die richtigen  Fleischlaberln!“) und als Kettenraucher mit speziellen Belga-Tschiks versorgen ließ – vom Wurmerl, seinem besten Freund in guten wie (gesundheitlich) schlechten Zeiten.

Nie werde ich vergessen, wie Happel nur wenige Tage for seinem absehbaren Tod, abgemagert bis auf die Knochen, aber unverwandt und standhaft, vorm Match und zur Pause des (auch dank Herzog-Toren) mit 5:2 gewonnenen Duells mit Israel im Visier der sensationsgeilen Photographen und Kameraleute zur Trainerbank im Praterstadion wankte. Despektierlich.  Umenschlich. Grauenvoll. Rücksichtslos. Happel ging trotzdem geradewegs durch das Spalier an Niederträchtigkeit, als ginge ihn das alles nichts mehr an. Weltmeisterlich,  obwohl er trotz 17 Titeln aller Formate mit diversen Klubs aus irgendeiner höheren Gewalt nie ein Team-Weltmeister wurde. Aber so, wie er das bittere Los akzeptierte, war er menschlich a „Wötmasta“, der seit 1992 auf diese für ihn wohl heute unbegreifliche Fußballwelt herabschaut. Einer wie keiner….

 

 

 

 

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