Es gibt neuerdings Dinge, von denen man glauben würde, dass es die nicht gibt. Aber es gibt sie doch, auch und gerade im Sport, in dem – im Schulenglisch mussten wir´s lesen – The Invisible Man, der unsichtbare Dritte, sozusagen im toten Blickwinkel des Normalkonsumenten ins Referee-Ohr flüsternd sein Unwesen treibt. Die jüngste Blüte davon spross in Dänemark bei einem Duell zweier Top-Klubs. Als Aarhus beim Schlusspfiff ein 3:2 gegen FC Kopenhagen bejubelte, hatte es sich zu früh gefreut. Der VAR (Ironie am Rande, dass er so heißt wie Vereinigte Arabische Emirate in deutscher Kurzversion!!) sagte nämlich heimlich, still und leise: Njet, Rückpfiff vom Schlusspfiff, weil es davor Elfmeter hätte geben müssen für KB. Gesagt, gehört, geschaut, getan. Schlusspfiff aufgehoben, Elfer gepfiffen, Elfer verwandelt, statt 3:2 ein 3:3. Und auch in der dänischen Tabelle hat´s dann anders ausgeschaut.
VAR, der Inbegriff aller Fairness? Mitnichten! Es ist die neue, die unsichtbare Waffe, über die man – wären Stammtische wieder offen – an eben diesen oder auf Tribünen und am Stehplatz so diskutieren könnte, wie das in guten alten Zeiten über Schiedsrichter der Fall war. Mit einem feinen, noblen Unterschied. Früher einmal, in vermeintlich schlechten, alten, längst überholten Zeiten, wurde die Referees mit Kraftausdrücken wüst beschimpft ich sag z. B.: Schwarze Sau. Allerdings stimmt auch das ja nicht mehr, weil die Schiedsrichter jetzt, was die Dress betrifft, längst zu bunten Hunden in Rosa, Blau, Schwarzweiß oder was auch immer geworden sind.
Wenn´s also um den obendrein sehr aufwendigen Video-Referee geht und manch mehr als dubiose (Nicht-)Eingriffe und Entscheidungen im Fußball, dann lass ich mich gerne Ewiggestriger schimpfen. Und das gilt ebenso für das sündteure Hawk-Eye im Tennis, das – wenn überhaupt vorhanden – nur auf den schönsten und teuersten Show-Courts bei Großturnieren eingesetzt wird. Hi-Tech hin, partiell vorweggenommene Zukunft her – ist´s wirklich ein Fortschritt für den Sport, wenn´s auch punkto Fairness eine Zweiklassengesellschaft gibt, in der die Topstars (und ihre Gegner) die Chance haben, dank ausgeklügelter Elektronik überprüfen zu lassen, ob ein Ball „in“ oder „out“ war, während zwei, drei Plätze weiter sich ein weniger prominenter Spieler ganz ohne Technik dem Augenmaß eines ganz normalen menschlichen Schiedsrichters fügen muss?
Wie wir wissen, handelt es sich beim Tennis auch um eine subtile Abart des Boxens mit Ball und Schläger statt einem Halleluja für zwei Fäuste, um einen mentalen Schlagabtausch also, bei dem mitunter ein strittiger Ball über Wohl und Wehe eines Spielers oder gar Spieles entscheiden kann. Ja, das hat es sogar auf allerhöchster Ebene schon gegeben mit Spielern, die normal auf Augenhöhe sind – und plötzlich reißt mit einem Schlag just bei dem der Faden, der vordem überlegen war. Und auf einmal trifft und trifft der vermeintlich Geschlagene die Linien, Punkt für Punkt, Nadelstich für Nadelstich. Ja, wenn´s laft, dann laft´s. Ob so oder so …
Auch wenn sich prinzipiell nichts an den Regeln geändert hat, so stellt sich mir als juristischen Laien, aber (Sport-)Menschen mit natürlichem Rechtsempfinden die Frage: Kann und darf sein, dass es bei der Regel-Umsetzung widersprüchliche Voraussetzungen und unterschiedliche Parameter gibt, es also ausgerechnet dort, wo der Einsatz von Hi-Tech-Methoden als ultimatives Mittel zum Fairness-Zweck propagiert wird, sozusagen Gleichere als Gleiche gibt? Aber wie haben schon die alten Römer gesagt: Quod licet Jovi, non licet bovi. Auf Deutsch: Was dem Sonnengott Jupiter recht, ist noch lange nicht billig fürs Rindvieh (oder Stimmvieh). In diesem Sinne lebe mit dem technischen Fortschritt auch diese Form der neuen Normalität im Sport, die uns als der fairen Weisheit letzter Schluss verkauft wird. Man wird aber hoffentlich noch bekritteln oder schimpfen dürfen, ohne alles zu abzukaufen, was einem angedreht wird.