Würd´s ihn nicht geben mit allem Drum und Dran, mit seiner Figur, seinem bubenhaften Lachen, seinen blitzenden, listigen Augen, seiner unverwechselbaren Stimme, seinem italienischem Englisch, seinen Schräglagen und der knallgelben, vom Rennfahrerpapa geerbten Startnummer 46, man hätte ihn erfinden müssen.
Er kam, sah und siegte vor fast einem Vierteljahrhundert mit der Überzeugung, der nahezu unschlagbare Beste zu sein: Hoppla, jetzt bin ich da, Valentino Rossi aus Urbino nahe San Marino und Misano Adriatico. Nie zuvor – Granden wie Geoff Duke, John Surtees, Mike Hailwood oder Giacomo Agostini, mit 122 GP-Siegen noch immer die Nr 1, mögen es verzeihen – hatte es einen charismatischeren Zweiradartisten gegeben als Valentino. Dieser außergewöhnliche Typ, körperlich eigentlich viel zu groß für die Rennmaschinen, lehrte einerseits die Konkurrenz das Fürchten, andererseits zog er nicht nur mit seinen Siegen, sondern auch seinem Wesen die Massen an wie der Rattenfänger von Hameln.
Da MotoGP-Euphorie und Rossi-Hysterie schnell eins geworden waren, lösten sie sowohl einen Zuschauer-Boom als auch Verkaufsschlager im Merchandising aus mit allem, was zu Rossi gehörte: 46er-Fahnen und andere Fan-Artikel, Valentino oder Vale-Schals! Und auch mit vielfarbigen „Doctor“-Logos, weil Rossi nicht nur für die Motorrad-Freaks auf der Maschin´ einer war, sondern als Kommunikationskünstler von der Universität seiner Heimatstadt Urbino tatsächlich zum Ehrendoktor erhoben worden war…
Inzwischen aber haben sich die Zeiten geändert, inzwischen liegt der letzte der 115 Rossi-Siege (2017) schon lang zurück, noch viel länger sein letzter der insgesamt neun WM-Titel, nämlich 12 Jahre. Inzwischen gehen, wie gesagt, de Uhren anders. Inzwischen „ordiniert“ schon lange nicht mehr der „Doctor“ auf allen Rennstrecken der Welt, auch nicht sein jüngerer, wilderer, noch immer verletzter Nachfolger Marc Marquez (6 Titel, 82 Siege), inzwischen gibt´s keine Kultfigur wie ihn, die Ikone Rossi, um die sich alles dreht, inzwischen gibt´s an der Spitze ein ständiges Kommen und Gehen von unerschrockenen, respektlosen Jungen, die dem alten oder besser: gealterten Star den Auspuff zeigen. Hatte Rossi zum WM-Auftakt vor gut einer Woche noch im Qualifying von Losail in Katar aufgezeigt, so ging´s vom ersten Rennen an so bergab, dass er den zweiten WM-Lauf auf seiner Privatteam-Yamaha von Platz 21 in Angriff nehmen konnte – dem schlechtesten Qualifying-Ergebnis seiner 25-jährigen Karriere.
Und wo ein Rossi früher das Feld von hinten mit atemberaubenden Überholmanövern aufgerollt hätte, dort krebste er ähnlich am Ende des Felds herum wie zuletzt der vierfache Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel ebenfalls in einem neuen Team. Alles nur Materialprobleme, wie es der eine ´wie der andere dem TV-Konsumenten weis zu machen versucht? Oder ist´s nur der subtile Versuch eines Selbstbetrugs, weil der „Dottore“ einfach nicht wahrhaben und sich eingestehen will, dass die Operation Comeback zum Scheitern verurteilt ist, schließlich hat jeder noch so geniale Star ein Ablaufdatum.
Wenn´s so weitergeht, wie zu befürchten steht, dann läuft der mittlerweile 42jährige Rossi Gefahr, mit seinem Ruf auch das Denkmal seiner selbst zu zerstören. Oder noch gefährlicher und schlimmer, mit falschem Ehrgeiz sein Leben aufs Spiel zu setzen. Die letzten Eindrücke zum WM-Auftakt waren schon traurig genug für Millionen an enttäuschten, wenn nicht entsetzten Fans, die von „ihrem Doctor“ alles erwarten, nur nicht, dass er im Hinterzimmer ordiniert. Für einen Charismatiker wie Rossi wär´s g´scheiter, einen spektakulären Rücktritt zu inszenieren statt ganz leise Servus zum Abschied zu sagen…