Von Turnier zu Turnier nicht besser, sondern schlechter – viel schlimmer hätte es für Dominic Thiem im Countdown zum French Open nicht kommen können. Hatte die dreieinhalb Stunden-Partie von Rom trotz knapper Niederlage gegen Lokalmatador Sonego noch auf einen Formanstieg hoffen lassen, so kam das frühe Aus gegen den Mittelklasse-Briten Cameron Norrie in Lyon einem spielerischen Offenbarungseid gleich.
Ja, was ist in diesen Anti-Dominator gefahren, dass er lahm, zahnlos und ohne jeden Biss wirkt, der ihn bis vor kurzem, ob Sieg, ob Niederlage, aueichnet hat? Da er beim Comeback in Madrid auf Anhieb das Semifinale erreicht hat, kann´s ja die längere Turnierpause allein auch nicht sein, warum er danach so gar nicht in die Gänge zu kommen scheint. Oder ist´s eher der sportliche Sättigungsgrad, den er mit dem ersten Grand-Slam-Triumph bei den US-Open erreicht hat? Sind´s noch Spätfolgen der Trennung von Trainer-Mentor-Manager Günter Bresnik, dem die Thiem-Familie den Prozess gemacht hat, ehe man sich doch noch einigte.
Womit wir auch bei den Millionen sind, die das Thiem-Team dank der tollen Karriere des Dominic auf der hohen Kante hat – und der Frage, die sich zwangsläufig daran knüpft, ob am Ende gar das liebe Geld den Charakter eines vordem eher maßvoll-bescheidenen Sportsmannes tatsächlich verdorben hat? Oder sind´s die zarten Liebesbande, die Dominic, der Star aus dem Tenniszirkus, mit der Zirkusprinzessin Lili Paul-Roncalli geknüpft hat, die den Blick auf das sportlich wesentliche getrübt haben? Wer den Aufsteiger Thiem seit 10 Jahren auch abseits von heimischen oder Grand-Slam-Turnieren in Nizza, Lyon oder Hamburg verfolgt hat, der wird aus dem aktuellen Absteiger Thiem einfach nicht schlau.
Die auch in diesem Blog kürzlich angedeutete Vermutung, der gute Dominic versuche zwar einerseits Spielpraxis zu sammeln, andererseits aber auch keine Kräfte vor dem deklarierten Saisonziel Roland Garros und French Open zu verpulvern, hat sich offensichtlich als Trugschluss erwiesen. Wär´s anders, würde die von Selbstzweifeln geplagte Immer-noch-Nummer 4 der Tenniswelt nicht gestehen, „dass mir das Debakel in Lyon zu denken gibt.“
Ein zweiter Triumph in einem Grand-Slam-Turnier scheint jedenfalls angesichts der gegenwärtigen Formkrise für Thiem ebenso weit entfernt zu sein wie das Ziel, einmal auf Musters Spuren die Nummer 1 im Tennis zu werden. Eher droht´s bergab zu gehen, wenn´s nicht bald zu einer spielerischen Trendwende kommt. Denn so, wie er derzeit auftritt, erinnert Thiem an ein willkommenes Kanonenfutter für jeden Favoritenschreck. Lahm, zahm, zahnlos und damit harmlos. Der Triumphmarsch von vorgestern hat sich in ein sportliches Trauerspiel verwandelt.