Einmal King of Melbourne, neunmal Tenniskönig in Down Under beim ersten Grand Slam-Turnier des Jahres, das unter höchst merkwürdigen bzw. höchst hinterfragenswerten Open-House-, Lock-Down-, Open-House-Bedingungen ausgetragen und beendet wurde. Novak Djokovic, der vor wenigen Tagen noch so angeschlagen schien, dass es nicht weiter geht, hat jetzt das Kegelresultat als Australian-Open-Sieger geschafft, also alle Neune! Mit dem 7:5, 6:2, 6:2-Finalsieg gegen den schlussendlich chancenlosen russischen Herausforderer Daniil Medwedew verteidigte der „Djoker“ nicht nur den Titel in seinem schönsten Wohnzimmer, er stockte nicht nur sein Konto an Grand-Slam-Titeln auf 18 auf, nur noch zwei weniger als Federer und Nadal, nein mehr noch: Mit jetzt 305 Wochen an der Spitze der Weltrangliste fehlen ihm nur noch fünf Wochen auf den (Neuzeit-)Rekord des Schweizers.
Und seit Eurosport und sein Topstar Bobele Becker mit dem Adjutanten Stach in vorauseilendem Gehorsam auch den Österreich-Basher aus Bayern, Markus Söder, als ehemaligen Tennis-Vereinsmei(st)er ehrfürchtig zu Melbourne interviewt haben, wissen wir, dass der bayrische Ministerpräsident ein Roger-Fan ist, der so nebenbei die unbeugsame Kampf- und Kontermaschine Djokovic beiläufig als drittes Radl am Wagen gerade noch akzeptiert trotz der fast sechs Jahre an der Weltspitze. Na ja, als ein zum Viren-Experten mutierter Tennisfan a. D. kannst nicht alles wissen, oder?
Ob diese mäßig euphorische Einschätzung einer Langzeit-Nummer 1 eventuell sogar nebenbei damit zu tun hat, dass „Nole“ kein Mainstream-Ja-Sager ist, der (s)eine eigene Spieler-Vereinigung (gegen ATP) gegründet hat, weiß man nicht, das ist Spekulation. Jedenfalls hat sich Nole über den Tennis-Zirkus hinaus mehr Feinde als Freunde geschaffen. Realistisch aber, dass der „glutenfreie“, asketische, universell geschulte, vom serbischen Alpinski-Sternchen zum Tennis-Weltstar aufgestiegene Djokovic demnächst die Federer-Rekordmarke von 310 Wochen als nicht ganz so elegante, aberdafür umso mehr laufend-kämpfend-fitness-bewusste Nummer 1 knacken dürfte. Und damit vorerst in diesem Ranking die Eins aller (statistischer) Zeiten wäre. Wie das Melbourne-Ergebnis sagt und beweist – einer aus den ewigen Top drei kommt auch im fortgeschritten Alter immer durch, wenn sie a priori dabei sind und nicht disqualifiziert werden wie der Djoker in der komischen US-Open-Bubble 2020 mit einem harmlosen “Fangschuss” nach hinten.
Für Medwedew, diesen Ausbund an Unberechenbarkeit, heißt es nach dem zweiten verlorenen Grand-Slam-Finale (2019 US-Open) also weiter: Bitte warten, deine Zeit kommt noch, da sind wir uns alle ganz sicher. Und wenn sie kommt, dann wäre dieser geradezu schmalbrüstige, schlaksige, leptosome Russe ein ideales Testimonial für Tennis-Normalverbraucher, die sich die Zeit zum Spielen/Üben quasi vom Mund absparen müssen. Dieser völlig unorthodox wirkende, oft ebenso spielende, ebenso oft an den US-Stummfilm-Superstar Buster Keaton erinnernde, alles andere denn muskulöse Anti-Star hat auch ohne krönenden Abschluss in Melbourne demonstriert, dass man ein Topsportler sein kann, ohne auch nur im Entferntesten an einen Supermann zu erinnern. Sein Pech gegen einen in seinem Wohnzimmer überragenden Djokovic war es, dass der Novak ebenso schnell aus der Hüfte schießen kann, wenn es darum geht, den Branchen-Primus hervorzukehren. Oder andersrum: Ein Schuss Pech für den Russen im doch nicht lebensgefährlichen „Duell“ mit dem Serben…