Schlimm genug, wenn ein Weltstar wie Boris Becker zu zweieinhalb Jahren unbedingt verurteilt wird. Noch schlimmer, wenn er direkt vom Gerichtssaal wie ein Gewalt-Verbrecher in den Knast chauffiert wird. Von diesem Drama, um nicht zu sagen, dieser menschlichen Tragödie wurde nicht nur, aber vor allem in der Regenbogenpresse mit weniger mitleidvollen, vielmehr hämischen Untertönen umfangreich bis eingehend berichtet. Alles nach der Devise: Wer den Schaden (angerichtet) hat, der muss sich für den Spott (nicht mehr) sorgen. Das ist, um es so zu formulieren, part oft he game, also teil des Promi-Geschäfts, von dem der größte deutsche Tennisheld aller Zeiten auch profitiert hat. Einbahn andersrum: Promi-Malus statt Promi-Bonus!
Was aber jetzt alles zu lesen oder zu hören ist, welch Halbwahrheiten oder gar echte Lügengeschichten aus erster Hand in den Mund da kolportiert werden, um möglichst hohe Auflagenzahlen oder Einschaltquoten zu bekommen, das spottet langsam jeder Beschreibung. Vom Ekel-Essen bis zur stinkenden Toilette ohne Klodeckel, von Klaustrophobie bis zu Notrufklingeln, von Telefonaten oder Telegrammen zu Ex-Frauen und betagter Mammi, man kommt aus seinem Wundern gar nicht heraus, wie viele Insider britischer Gefängnisse es unter deutschen Schreibern gibt, die das Gras sogar dort wachsen hören, wo es nur steinerne Mauern gibt. Womit wir beim nächsten Zitat angelangt sind, das da heißt: Spott ist das Wetterleuchten der Verleumdung!
Hier geht´s nicht darum, womöglich ein Plädoyer für das arme Bobele aus Leimen bei Heidelberg zu halten, ganz und gar nicht. Ich persönlich finde es aber mehr als nur entbehrlich, mehr als nur unfair, nein: eigentlich fast schon unverschämt, sich am Leiden des gefallenen Tennis-Engels geradezu zu weiden – und just jene, die von den Wimbledon- und anderen Grand-Slam-Siegen des Wunderknaben jahrelang ebenso profitiert haben wie danach von seiner schillernden Person und seinen privaten Skandalen, von Scheidungen und Samenraub, von verdienten Millionen und verschleuderten Unsummen.
Becker, der zum Überdrüber-Star stilisiert wurde, bis er wohl selbst geglaubt hat, über allen Dingen zu stehen, hat in seinem Sport- und vor allem Tennis-Leben große, bisher nie mehr erreichte Spuren hinterlassen, ist aber auch in mehr Fettnäpfchen getreten als viele andere deutsche Idole und Ikonen. Die nicht nur selbst verschuldete, sondern medial noch angeheizte, ausgereizte und ausgewalzte Demontage voller Untergriffen, Unterstellungen und Unbewiesenem, hat sich Boris Becker bei allen finanziellen Versäumnissen oder juristischen Verfehlungen in dieser brutalen, fast schon niederträchtigen Form nicht verdient.
Ein guter Schuss mehr an Fairness und Menschlichkeit wäre meiner bescheidenen Meinung nach jedenfalls mehr als angebracht. Diese demütigenden Erniedrigungen dürften für ihn, sollte er sie sozusagen Eins zu Eins erfahren, vielleicht noch viel schlimmer sein als jeder Tag in einem englischen Knast – wo immer das Bobele von ehedem da in London oder sonst wo hinter schwedischen Gardinen seine Sünden abbüßen muss. Diese Lust, just jener Hand alle Finger abzuschneiden, von der man Jahrzehnte lang bestens gefüttert wurde, grenzt schon an eine perverse Obszönität!