Thiem locker weiter, Rodionov nach Kampf draußen. Es kam in der zweiten Runde von Roland Garros wie erwartet oder befürchtet, je nach Perspektive. Auch gegen den einstigen Top-10-Spieler Jack Sock, eine Art Reprise der ersten Runde, musste sich der universell Tennis-geschulte „Dominator“ nur in wenigen Phasen wirklich strecken, um die Gefährlichkeit des Amerikaners im Keim zu ersticken – und sich ein Duell mit dem Sandmännchen aus Norwegen, Casper Ruud, zu sichern. Zugleich die erste Nagelprobe für den US-Open-Sieger und zweimaligen French-Open-Finalisten, wie gut er wirklich drauf ist bei den Slow-Motion-Bedingungen, die ihm an sich liegen. Aber Thiem besitzt alle Schläge, um seine Gegner entweder zu entwaffnen oder mit scharfer „Munition“ an Schlägen in die K nie zu zwingen, ob Aufschlag oder Return, ob Vorhand oder Rückhand. Volley oder Stopp, er hat die Grundschule verinnerlicht und sie im Laufe der Jahre immer mehr verbessert und mit Fighting Spirit angereichert. Und damit ist er zu einer Allrounder-Größe gewachsen, an der selbst die großen Zwei, sprich: Djokovic und Nadal, der 12malige Paris-Siefer, nur dann vorbeikommen, wenn sie das allerbeste Können ausspielen und das allerletzte Potenzial ausschöpfen.
Und genau das ist, ohne als Nörgler, Besserwisser oder gar Nestbeschmutzer hingestellt werden, der springende, besser gesagt: wunde Punkt bei Jurij Rodionov. Der Jung-Twen gibt zwar nie auf, er kann sich überwinden wie einst ein Thomas Muster, er kämpft wie ein Löwe bis zum Umfallen oder solange, bis der Gegner die Geduld verliert und Fehler macht. Was nicht nur mir, sondern größeren Fachleuten aber beim Niederösterreicher abgeht, das sind echte Waffen, die er in seinem Arsenal und im Köcher hat. Wenn ihn seine Beine besser tragen als gestern, dann läuft er zumindest gegen Leute des Gombos-Kalibers viele Bälle aus, dann entpuppt er sich als Ball-Wand, die man erst überwinden muss. Aber a la longue wird diese Spielart ganz sicher nicht ans gewünschte Ziel führen, das ATP-Establishment und nicht Challenger-Level heißt.
Dabei sei wieder an Muster erinnert, der jahrelang als größter Kämpfer wie Defensivkünstler vor dem Herrn gelobt wurde. Als er vor 25 Jahren in Paris triumphierte, da drückte er zum einen mit mathematischem Winkelspiel seine Gegner immer weiter hinaus – und ging dann selbst so weit in den Platz, um die entscheidenden Punkte zu machen. Kurzum, aus dem Muster, dem Counterpuncher, schlüpfte ein Mann, der den Angriff zur besten Verteidigung machte. Und das, bei all anderer solider Ballbeherrschung, würde man sich auch von Rodionov wünschen. Nur dann stehen ihm die Türen zu den Top 100 oder gar Top 50 einmal offen. Meine ganz persönliche bescheidene Meinung…