Es ist passiert, was nicht nur für Patrioten lieber nicht hätte passieren dürfen/sollen, schon gar nicht auf diese im doppelten Sinn des Wortes schmerzhafte Art und Weise. Dominic Thiem, 27, Zugpferd und Lokalmatador als Titelverteidiger der Erste Bank Open 500 und als US-Open-Grand-Slam-Sieger, hat sich im Viertelfinale hinkend und schleppend aus der Stadthalle verabschiedet. Einen Satz lag hatte er sich mit dem vierfachen russischen Saisonsieger Andrej Rublew, 21, einen hinreißenden Schlagabtausch geliefert, der hin und her wogte, ehe Thiem ein verpatzter Stoppball und offenbar auch ein Fehltritt den Tiebreak kostete. Und von da weg war´s dann nur noch bergab gegangen – wie gesagt, mehr hinkend als gehend, geschweige denn laufend. Normal hört man da wahrscheinlich auf. Als Nr. 2 des Turniers und Nr. 3 der Welt aber steht man´s daheim durch bis zum bitteren Ende. Das sei Thiem hoch angerechnet.
Einerlei. Da das vermeintliche Traumfinale mit dem Aus für Thiem sowieso schon geplatzt war, doppelte ein höchst lust- und emotionslos wirkender Novak Djokovic anschließend gleich nach. Wie eine bis aufs French-Open-Finale und die jedenfalls nicht sportliche US-Disqualifikation heuer unschlagbare Nummer 1 der Tenniswelt gegen einen Lucky Loser wie den Italiener Sonego ganze drei Games in zwei Sätzen gewinnen kann, ohne dass ihn eine Blase am Fußballen wie bei Thiem an seiner Schlagkraft gehindert hätte, das sei nicht dahingestellt, sondern eigentlich hinterfragt. Da der Djoker aber TV-Interviews verweigerte, wissen wir nicht, ob er aus lauter Corona-Angst vielleicht lieber in Wien absalutieren statt in eine Hotel-Quarantäne gehen wollte, wer weiß das schon in diesen Zeiten. Wie auch immer – das Traumfinale ist geplatzt und beide Topstars und dazu noch Medwedew, sind leider out.
Freund Andrej Rublew aber ist noch da und mit mittlerweile 13 Siegen en Suite der Mann der Stunde aus Moskau. Mit ihm statt Thiem hat das Turnier jedenfalls kaum an sportlicher Wertigkeit verloren, für die Normalverbraucher abseits der Insider allerdings einiges an patriotischem Interesse. Und da ohnehin nur eine begrenzte Zahl an den beiden Sessionen kommen und die Stars verfolgen darf, es also sowieso im Fußvolk-Tribünenbereich so gut wie ausverkauft ist mit zweimal 1000 Fans, werden die Veranstalter kaum darunter leiden in den beiden Finaltagen.
Wer aber erlebt, wie da alles ausgeklügelt und ebenso inszeniert wird, wie sich die Bandenwerbung flugs ebenso dreht und wendet wie die Commercials – darunter auch eines mit Stefan Koubek als Werbeträger für eingepflanztes Haar – auf der Videowall in den Pausen, der muss den (virtuellen) Hut ziehen angesichts der vielen e/motions-Kontakte, die zu Kontrakten geführt haben. Und erst recht davor, wie viele nicht gerade billigen Logen da an den Mann oder Frau, sprich: potente Firmen, gebracht wurden. Das, mit Verlaub, muss dem Turnierdirektor und seiner Mannschaft erst einer nachmachen. Das war und ist absolute (Welt) Klasse – fast ebenbürtig den knallharten Ballwechseln der Topstars.
Die (Gretchen-)Frage, die sich mir wieder aufgedrängt hat beim Lokalaugenschein, lautet: Werden solche Turniere mit begrenzter Zahl an betuchten Zuschauern und ausgegrenztem Fußvolk etwa gar zur neuen Normalität und damit zum Vorgriff auf eine Zukunft, die sich nicht nur unsereins noch vor einem guten halben Jahr nicht einmal in den schlimmsten (Alp-)Träumen hätte vorstellen können? Aber Corona hat vieles, wenn nicht fast alles, was gang und gäbe war, unmöglich und damit neue Parameter im Sport erst möglich gemacht. Er ist längst infiziert von der Angst vor den unsichtbaren Viren, die ihn wohl in Bälde seinen Aktiven und dem Publikum wieder entreißen dürften. Und das ist viel schlimmer und auch folgenschwerer als das Aus für Djokovic und die 6:7, 2:6-Niederlage samt schmerzendem Fuß von Dominic Thiem, trotz allem Sportler des ungewöhnlichsten Jahres 2020, da braucht man kein großartiger Prophet zu sein.