Italien jubelt über den zweiten Europameistertitel und England weint dem ersten Triumph seit 55 Jahren nach, noch dazu in Wembley, wo es mit seinem Teamchef Gareth Southgate vom Schicksal eingeholt wurde. Damals, im EM-Semifinale gegen Deutschland, hatte Southgate seinen Fuß mit im Spiel, als er den entscheidenden Elfer verschoss – diesmal war´s seine unglückliche Hand, die ihn just kurz vor Torschluss jene zwei Jungstars eintauschen ließ, die dann im Penalty-Shootout an Italiens Torhüter Donnadrumma scheiterten.
Ja, gibt´s denn solche Kapriolen höherer (Fußball-)Macht, die mit Gewalt zuschlug, als sowohl anfangs im Finale mit dem Blitz-Tor durch den Sonntagstreffer von Shaw als auch im Elferschießen nach dem ersten Fehlschuss Italiens alles für die Löwen Albions gesprochen hatte. Ja, diese Ironie des Schicksals oder auch Strafe für allzu großer Angst vor dem Feind kanns geben, wenn eine Mannschaft wie die der Briten vermeint hatte, ein knappes 1:0 gegen lange Zeit ineffiziente Italiener nur noch verwalten zu müssen. Ja, wer selbst nichts mehr tut, um den Gegner zu beschäftigen, der macht ihn stark und stärker – auch an einem Tag, an dem zunächst alles in Richtung der Engländer zu laufen schien, die schneller am Ball, bissiger gegen den Ball, hart im Nehmen und stark im Austeilen waren.
Aber statt auf die Devise: Angriff ist die beste Verteidigung setzten entweder Safety-first-Apostel Southgate oder aber die Spieler selbst instinktiv auf Defensive statt Offensive, womit sie sich das 1:1 einhandelten – auch eine Mischung aus glücklichen Abprallern oder unglücklichen Verfälschungen, aus welcher Perspektive immer. Und wenn wir von Ironie des Schicksals an diesem für die Briten verdammten 11. Juli 2021 reden, als die Kugel beim Elfer-Roulette im Casino Royal auf null fiel, dann wurde es von England auch aus zwei Gründen herausgefordert. Zum einen, weil sie am Ende ins längst überholte Italien-Spiel von vorgestern flüchteten. Zum anderen, weil sie und Southgate letztlich über die allseits gelobte, schlussendlich noch eingetauschte Jugendlichkeit der Mannschaft der Zukunft stolperten.
Just jene, die geholt wurden, um in jugendlicher Frische die alternden Azzurri zu besiegen, stolperten hintereinander über die fehlende Routine und Nervenstärke, ob Saka, ob Rashford, ob Sancho. Ihre Wahl fiel dem englischen Teamchef so auf den Kopf wie vor 25 Jahren sein verschossener Elfmeter. Das Schicksal ist oft unergründlich, aber umso gnadenloser. Der italienische Titelgewinn allerdings hat auch zwei wunderschöne Seiten. Mit der Squadra Azzurra triumphierte eine Mannschaft, die wie keine andere ihre nationale Identität auch bei der Hymne („Fratelli Italia, Italia…“) lauthals zur Schau trug. Und mit dem Europameister dürfen auch wir Ösis beim Happy End für Bella Italia, das wir im Achtelfinale fast zur Verzweiflung gebracht haben, leise mitsummen. Als Sieger der Herzen und heimliche Vize.