Wenn von einem Sommermärchen die Rede ist, auf das viele mit den Fußballfrauen hoffen, so sei gesagt, dass es vor nicht einmal 24 Stunden schon eines gab – ganz ohne Ball, ganz ohne Frauen, aber hoch zu Stahlross, sprich: bei der Tour de France. Dort hat es einen märchenhaften Sprintsieg durch jenen Fabio Jakobsen gegeben, der vor knapp zwei Jahren nach einem Horror-Crash zum Auftakt der Polen-Rundfahrt dem Tod gerade noch von der Schaufel gesprungen war. Abgedrängt war der 80kg-Sprinter damals geworden, in den Beton gekracht und dabei so schwer verletzt worden, dass die Ärzte in Sosnowiec zwei Tage lang um sein Leben kämpften, ehe sie dieses „Rennen“ gewinnen und Jakobsen den Weg zurück in den Alltag und in den Rennsport ermöglichen konnten.
Die Wunden und Narben, die er davongetragen hatte, haben trotz diverser Eingriffe optisch und äußerlich ihre Spuren hinterlassen, den Holländer aber mental noch stärker gemacht. Die Hoffnung, sich wieder in den Sattel schwingen und Rennen fahren zu können, auch gefährliche Sprints, war größer als die Angst, nie wieder in die Pedale treten oder dann, wenn´s möglich ist, wieder stürzen zu können. Am Tag, als er in Dänemark nach dem Sieg gegen den Tod den größten sportlichen Triumph feierte, war Jakobsen aus eigenem Instinkt oder dank höherer Gewalt nur zwei Kilometer vor dem Etappenziel einem Massensturz entkommen, um dann mit einem gewaltigen Antritt noch den Belgier Wout van Aert um einen Hauch abzufangen.
Kein Wunder, dass bei ihm die Emotionen so hoch wie nie zuvor gingen. Kein Wunder, dass ihm Kollegen und Rivalen anerkennend bis bewundern auf die Schulter klopften, schließlich wissen und wussten alle, was Fabio Jakobsen durchgemacht hat, um zwei Jahre nach einem der fürchterlichsten Stürze wieder an der Spitze anzukommen. Und mit dem Sieg hat er auch die höchst umstrittene Entscheidung seines Rennstalls gerechtfertigt, nicht auf den Tour- und Giro-Rekord-Etappensieger Mark Cavendish, 37, zu setzen, sondern auf ihn, den weit jüngeren Sprinter, der nicht nur stark in den Beinen ist, sondern auch besonders stark im Kopf. So stark, dass er mit seinem kräftigem Pedaltritt den Sprint von der polnischen Hölle in den Tour-.de-France-Himmel schaffte. Notabene in einem dramatischen Sprint. Ein Märchen, das wahr geworden ist.