Ich bin alles andere denn der Anwalt der Katari, der Saudis und anderer Öl-Krösusse aus muslimischen Gefilden, der jetzt ein Plädoyer für den WM-Veranstalter halten will. Ich bin auch kein besonderer Freund des Fifa-Präsidenten Infantino (welch ein Name als Nachfolger seines Landsmannes Blatter!), den ich anders als seine beiden Vorgänger so gut wie gar nicht kenne. Aber ich kann, nein: muss dick unterstreichen, was er in seiner Pressekonferenz am Vortag der WM-Eröffnung den (sonst eher mit Ölmilliardären verbundenen) westlichen Kritikern vor allem aus Europa verbal sozusagen ins Stammbuch geschrieben hat.
Diese von Minoritäten lauthals den medialen Meinungsmachern aufgezwungene, aus ihrer Sicht kritisierte, nein: skandalisierte Doppelmoral geht einem langsam über die Hutschnur. Und vieles von dem, was da angeprangert wird, entbehrt ja in der Tat vieler Grundlagen und auch Beweise. Wär´s anders, würde ja nicht der Fifa-Sprecher Bryan Swanson als bekennender Schwuler neben ihm am Podium sitzen und bestätigen, dass die Katari garantiert haben, dass es keine Repressalien gegen die LGBTQ-Kommune geben würde.
Wie gesagt, ich kenne den Herrn Infantino ebenso wenig wie den UEFA-Chef Ceferin, ich will auch nicht behaupten, er wäre über jeden Verdacht erhaben, ich glaube aber in der Tat nicht, dass er deshalb die Inkarnation an Korruption ist, weil er in Katar einen zweiten Wohnsitz hat, dessen Größe mir unbekannt ist. Das ja viele der sogenannten Gut- und Noch-besser-Menschen sehr wohl wissen, dass man mit überschaubaren Größenordnungen den Zorn oder Beifall des Fußvolks am besten schüren oder auslösen kann, packt man Vorwürfe in eben diese Normalverbraucher-Dimensionen.
Und da ja, siehe halb voll, halb leer, alle Medaillen auch zwei Seiten haben, lässt sich ein Apartment in Katar einerseits als Bestechung werten, andererseits aber ebenso als Zeichen dafür, sich vor Ort mit eigenen Augen von Fortschritten, Rückständigkeit oder verletzten Menschenrechten zu überzeugen, es sei denn, man ist blind, taub und sprachlos ob allem.
Und da ja Katari- und damit auch ein Fifa-Bashing mit Zielscheibe Infantino im Final Countdown zum WM, Anpfiff derzeit Hochkonjunktur hat, komm´ ich aus dem Staunen kaum heraus. Ausgerechnet bei dieser Endrunde und in diesem sonst so kritisch beäugten, so gerne skandalisierten, von mir nach einem ersten und wohl letzten Dubai-Lokalaugenschein vor 12 Jahren keineswegs goutierten arabischen Lande der unterdrückten Weiblichkeit wird Fußballgeschichte von und für Frauen geschrieben.
Und inwiefern, bitte schön? Zum allerersten Mal in der WM-Historie dürfen drei Schiedsrichterinnen nicht nur an der Linie „wacheln“, sondern auch Spiele pfeifen – und sich notfalls mit gelben oder gar roten Karten auch Respekt zu verschaffen. Just in Katar. Treppenwitz der Fußballgeschichte. Oder nur Augenauswischerei, obschon auch die zwei Seiten hat. Pro forma oder tatsächlich so, dass man sich die Augen reiben muss, um zu glauben, was du siehst. Ich denke, es wird noch mehr Überraschungen geben.