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Ernst Hinterseer oder: 90jähriger Kitz-Olympiasieger, der Rad der Zeit ständig zurückdreht

Er ist der letzte alpine Golden Boy vom legendären Wunderteam der 50er-Jahre aus Kitzbühel, der noch lebt. Nein, leibt und lebt, als würde er Jahr für Jahr das Rad der Zeit zurückdrehen. Heute feiert Ernst Hinterseer, Slalom-Olympiasieger 1960 von Squaw Valley (vor seinem drei Jahre jüngeren Kitz-Kumpel Hias Leitner), seinen 90. Geburtstag und zwar so, wie der Volksmund salopp sagt: In wahrlich alter Frische! G´sund und stramm, wenn nicht daheim in der Hotelpension am Schattberg, dann beim Kartenspielen in der Goldenen Gams, im Sommer in Lederhosen gern auf Wanderschaft oder am Schwarzsee, wo zur Feier des runden Geburtstags ein Prosit auf den ewig jungen Jubilar gesungen wird. Im engsten Familien- und Freundeskreis mit Frau, zwei seiner drei Söhne mit Anhang, mit dem Hias, seinem treuen Skifreund, dem polnischen Stadtpfarrer, der Gams-Wirtin und Hotel-Tiefenbrunner-Chefin. Und trotz Gemeinderatswahl- und Zahltag soll sich, wie mir Informanten berichteten, auch der Kitzbühler Langzeit-Bürgermeister Dr. Winkler das Ereignis im umgebauten, neuen Alpenhotel eines Zillertaler Unternehmers namens Schulz nicht entgehen haben lassen.

Erfolgszwillinge Hinterseer & Leitner mit Skipatriarch Kneissl. Und bei der Siegerehrung in Squaw Valley.

Ja, der Hinterseer Ernst, Vorname wie im Lande üblich hinten, war ein eigenes, ganz spezielles Ski-Exemplar. Wie seine einst berühmteren Kitz-Freunde Toni Sailer (+2009, gelernter Spengler) und Anderl Molterer (90 und ein par Monate, gelernter Zimmermann, lebt in Tennessee, USA), so begann auch er mit einer Handwerker-Lehre als Zimmerer, die er aber vorzeitig beendete, um eine profitablere Skikarriere zu machen. Die Siege, die ihm beim Hahnenkamm-Heimrennen (mehrmals Zweiter) versagt blieben, feierte er bei anderen damaligen Klassikern a la Zermatt oder Tre-Tre in Madonna. Sowohl bei den WM’s in Are 1954 und Badgastein 58 gab´s nur Flops und beim Sailer-Festival in Cortina 56 nur ein Diplom für Platz 6 im Riesenslalom. Nach einem Kapitalsturz in St. Anton (März 58) schwebte Hinterseer nach Beinbrüchen und Embolie sogar in Lebensgefahr. Aber er kämpfte dagegen und sich zurück in die Weltspitze, ganz so, als hätte er gefühlt, dass die Krönung seiner Laufbahn erst kommen würde. Olympisches RTL-Bronze (hinter Roger Staub und Pepi Stiegler) hatte er schon im Sack und vor dem Slalom-Finallauf nichts zu verlieren – und er wurde Olympiasieger, weil der Bogner-Fabrikantensohn Willy als Halbzeitführender stürzte.

Einerlei, der Hinterseer Ernst, so oft im Schatten anderer, wurde mit Freund Hias, dem gelernten Maurer, zum rettenden Engel der bis dahin sieglosen, gebeutelten und daheim schon gescholtenen rotweißroten Skiheld(inne)en. Ja, rettender Engel, das passte perfekt zu seinem Kosenamen  „Fernandel“, weil er dem Star so ähnelte, der den Dorfpfarrer Don Camillo im Film-Hit so genial verkörperte. Als er heimkehrte nach Kitz, da wurde er (und auch Hias) auf Schultern gehoben und auf Händen getragen. Ein Grundstück bekam er, auf dem er sich eine Hotelpension errichtete, die auch sein Zuhause geblieben ist, vom dem er ausschwärmt zu Wanderungen zum Schwarzsee oder zu Stadtspaziergängen und zum fast täglichen Kartenspiel mit seinem eher engen Freundeskreis.

Der Ernst, nicht immer Lieb-, sondern oft Stiefkind der Skigesellschaft, drückte der Weltcup-Szene jedoch als ÖSV- und Deutschland-Trainer, nicht zuletzt aber auch als väterlicher Privat-Coach (anfangs der 70er-Jahre) des erstgeborenen, außerehelichen Sohnes Hansi, Ex-RTL-Vizeweltmeister (1974, dazu RTL-Kugel) seinen Stempel auf. Ein späteres, kurzes Halbjahres-Intermezzo als ÖSV-Rennsportleiter endete zwischen Crans-Montana-WM 87 und vor Olympia 88 in Calgary mit dem Bruch, der auch einen Schlussstrich hinter diese Rollen bedeutete. Aber wie mit dem ÖSV als Funktionär, so kam´s auch mit Hansi, dem Ski- wie Schlagersänger-Sohn, zur Trennung, die trotz manch Versuche nicht zu kitten war.

Im Blick zurück aber entsinnt sich der 90jährige Jubilar voll Stolz einer 60jährigen glücklichen Ehe, vieler sportliche Erfolge und vor allem unauslöschlicher Erlebnisse, die ihn als Jungen mit der dampfenden Eisenbahn auf Buche-Eiche-Sitzen durch ganz Europa befördert hatte, ehe er auf dem Luftweg den Olymp erklomm, der nicht im Süden Europas stand, sondern sich in Amerika an der Grenze zu Nevada in Squaw Valley und Kalifornien erhob. Und als Goldgräber mit Bronze-Beigabe krönte sich Hinterseer (20 Jahre vor Hansi) in den USA auch noch zum Profi-Champion.

Während der eine Sohn singt und Guido das Hotel schupft, gibt der Junior-Ernst in der einst von Karl Koller gegründeten Rote-Teufel-Skischule den Ton an. Und Enkel Lukas hat´s immerhin bis ins Team und zum weitgereisten Stürmer-Legionär geschafft. Hinterseer, eine Dynastie-Story mit allem  Drum und Dran. Und trotz mancher Up and Downs – ein mehr als nur erfülltes Ski-Leben und eine gottgesegnete Gesundheit sind beim Senior-Ernst eins. Dank guter Gene hat er auch besonders gute Karten. Die Goldene Gams lässt grüßen …

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