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Welch ein Kraft-Akt als süßes Geheimnis

Am Tag, als der Winter wieder Einkehr hielt in Oberstdorf, gelang Stefan Kraft im Schneetreiben auf der Großschanze endgültig der Sprung über den eigenen, langen Schatten zum dritten Einzel-WM-Titel seiner Karriere – begleitet von einem eindrucksvollen Mannschaftserfolg in Rotweißrot (1,8, 10, 11), mehr als vielversprechend für und vor dem Teamspringen auf der Großschanze. Ja, wie hat der Stefan diesen Kraft-Akt nach den vielen Selbstzweifeln und Formschwankungen geschafft? Eine Frage, die auch im Fernsehen nach dem Triumph des Salzburgers mehrmals gestellt worden war, aber einerseits schwer zu beantworten ist, andererseits jahrelange Wegbegleiter des Skispringens daran erinnert, dass es auf Schanzen auf rätselhafte Weise immer wieder von Rössel- zu Quantensprüngen gekommen war.

Einer davon, längst in Vergessenheit geraten, betraf Toni Innauer, verhinderter Olympiasieger 1976, der vier Jahre später nach dem historischen Sieg im allerersten Weltcupspringen der Geschichte (Cortina 79) und nach längerer Verletzungspause (Bänderriss beim Waldlauf) im Countdown zum Olympia-Springen in Lake Placid 80 in eine kapitale Abwärtsspirale geraten war. Als Innauer, nicht mehr zorniges Wunderkind, sondern geläuterter Jung-Twen, fast schon aus dem Team für die Normalschanze geflogen wäre, setzte ihn der Trainerpsychologe Preiml einer Qualifikation mit Hans Millonig aus – bei allem Respekt vor dem biederen Kärntner fast eine Beleidigung für das Schanzen-Genie. Die Preiml-Taktik ging auf, Innauer nützte das neue Quali-Selbstbewusstsein, um mit einigen Metern und 17,1 Punkten Vorsprung zu einem der überlegensten Olympiasiege zu segeln. Und zur triumphalen Vergangenheitsbewältigung des 76er-Jahres am Bergisel.

Bewusst? Unbewusst? Wer weiß das schon, Hand aufs Herz. Das spielt sich, wie immer mehr und öfter im Sport, nicht mehr in den Beinen und im Körper ab, sondern im Kopf. Und was dabei warum und in welcher Größenordnung dafür gesorgt hat, dass der Springer auf einmal wieder sich und seine Stärke entdeckt, als hätte er nur einen Schalter umgelegt, das ist kaum bis gar nicht zu quantifizieren und qualifizieren wie andere individuelle Vor- oder Nachteile. Entscheidend ist nur, dass sie entweder der Trainer erkennt und in dieser Richtung arbeitet. Und der Sportler selbst spürt, dass ihm Flügel wachsen, wenn er (physisch wie psychisch) so reagiert, wie es ihm ein Instinkt befiehlt.

Stefan Kraft ist´s jedenfalls gelungen – und das an einem Tag, an dem schwierige Verhältnisse die Sache im Grunde noch viel schwieriger gemacht hatten. Wie er es gemacht hat, das allerdings bleibt in Anspielung auf seinen Kopfsponsor sein ganz persönliches, versöhnliches süßes Geheimnis. Stefan mag man eben – nicht nur, weil er der erste Triple-Einzelweltmeister Österreichs ist, nicht nur Skiflug-Weltrekordler (253,5m), nicht nur zweimaliger Weltcupsieger, nicht nur Vierschanzen-Tournee-Sieger. Einer der ganz Großen unter den Größten der Branche, der schon  als mehrfacher Junioren-WM-Medaillengewinner angedeutet hat, dass in ihm in aller Bescheidenheit ein Kraft-Lackel steckt.

Einer, der hoffentlich noch länger oder zumindest so lange die rotweißroten Fahnen (mit seinem Team) hochhält, bis aus WM-Juniorenstarlets wie dem heurigen Gold-Silber-Doppelpack Bachlinger & Haagen auch wieder Himmelstürmer werden wie ehedem Innauer-Schnabl, Neuper-Kogler, Vettori-Felder, Schlierenzauer-Morgenstern etc. und keine Sternschnuppen bleiben, die verglühen. Nichts ist fürs individuelle Selbstbewusstsein, aber auch für eine Kettenreaktion innerhalb der Mannschaft wertvoller als Titel, Goldene und andere Medaillen, mit denen im Sack wie mental im Hinterstübchen die vordem unterschätzten, aber umso kraft-volleren, sensations-lüsternen ÖSV-Nordischen in Oberstdorf zur Jagd auf die Cortina-Alpinen (5 Goldene) blasen.

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