Heute jährt sich zum 30. Mal der Todestag des dreifachen Skiweltmeisters Rudi Nierlich, über den da und dort schon von Kollegen geschrieben wurde, die anno 1991 noch in journalistischen Windeln lagen. Er kam aus St. Wolfgang und er verunglückte dort am 18. Mai 1991. Rudi war, man verzeihe diese Formulierung, so etwas wie ein Weißes (Ski)-Rössl vom Wolfgangsee, von einer Eleganz der Bewegung, hinter der sich unglaubliche Dynamik verbarg. Er war der Erfinder des Carving-Stils, als es noch gut zwei Meter lange Brettln und keine Carving-Kurz-Ski gegeben hatte. Angeboren. Instinktiv. Irrational. Kompromisslos. Siegen oder fliegen. Wenn Slalom-Olympiasieger Thomas Stangassinger, Jahrgangskollege und Weggefährte, den Rudi im „Servus-TV“ als Mischung aus Genie und Wahnsinn bezeichnet, kommt er dem Nierlich-Wesen schon sehr nahe.
In Abwandlung davon würde ich meinen, dass sein Hang zum Manisch-Depressiven ziemlich ausgeprägt war. Ich erinnere mich an eines der seltenen, längeren Interviews, die mein älterer Kollege Charly Pointner (Kronen-Zeitung) und meine Wenigkeit bei der Ski-WM 1989 in Vail noch vor der ersten seiner beiden Goldfahrten mit Rudi geführt hatten. Nicht einfach bei der fast selbstverständlichen Gleichgültigkeit, mit der er Reportern wie dem Skirennlauf begegnete – und die sich in seiner vereinfachten Formel so ausdrückte: Wenn´s laft, dann laft´s. Ja, das war der Stempel, den er sich selbst aufgedrückt hatte. Und der zu so etwas wie seinem Synonym wurde, das seiner aber nicht gerecht wurde. Bei diesem erwähnten Interview platzten aus Nierlich auf einmal ungekannte Emotionen, als er ungefragt über die schwer krebskranke Mutter und die Trennung der Eltern sprach, da schossen ihm Tränen in die Augen und verschlug´s ihm die Red´. Von wegen Gleichgültigkeit! Nach außen oft verschlossen wie eine Auster. Aber innerlich, da hat´s bei ihm viel mehr gebrodelt, als man gedacht hätte.
Und wenn ich mich der letzten Begegnung mit dem genialen Skifahrer beim Gala-Abend zum Weltcup der Skimarken im Parkhotel Schönbrunn entsinne, als am 17. April 1991 auf Rudis dritten WM-Triumph am Tisch des (siegreichen) Atomic-Teams mit Firmengründer Alois Rohrmoser angestoßen wurde, dann lauft´s mir heute noch kalt über den Rücken. Und warum? Weil Rudi auf das Prosit auf den noch fehlenden Olympiasieg 1992 für mich und Tischgenossen unverständlich, aber nichtsdestotrotz unmissverständlich antwortete: „Sicher nicht!“ Vorahnung, wer weiß? Unergründlich. Einen Monat später kam´s zur Todesfahrt in St. Wolfgang. Der Tränen am Grab, an dem sein Rivale Alberto Tomba in einem Sprachenmischmasch einen bewegenden Nachruf hielt, schäme ich mich bis heute nicht. Der introvertierte Rudi löste eben auch bei anderen Emotionen aus.
Rudi Nierlich, der geniale Skifahrer und unergründliche, ebenso introvertierte wie auch emotionale Mensch.
Dass ausgerechnet zum Memento Mori eines der ganz Großen des heimischen Skirennlaufs im präsidialen Schröcksnadel-Diadochenkampf die Fetzen fliegen, entbehrt nicht einer gewissen Surrealität. Irgendwie symbolisiert das (nicht nur Ski-)Jahr 1991 auch die Regentschaft des scheidenden ÖSV-Langzeitpräsidenten, an dem sich angesichts seines Abschieds – es lebe Fünf nach Zwölf der Mut zur Courage, nicht wahr – mehr (Klein-)Geister denn je scheiden statt fehlender Meriten oder Initiativen bis Aktivitäten wegen vor der eigenen Tür zu kehren. Ja, 1991 war ein Jahr, das auf Pisten (5) wie Schanzen und Loipen (3) vielfach vergoldet worden war, in dem aber auch eine schwarze Serie (Gernot Reinstadler, Rudi Nierlich, Trainer Alois Kahr) tödliche Spuren hinterließ.
Schicksalsschläge und -tage, die damals einten. Ebenso wie die Führungsqualitäten des sogenannten „Schröcksi“, dem mittlerweile ganz schön viele, die durch ihn profitiert, aber selbst wenig bis gar nichts zum ÖSV-Aufschwung beigetragen haben, nicht nur Gutes nachsagen. Undank ist der Welten Lohn oder: Je kleiner die Geister, umso mehr patzen sie Erfolgreichere im Erbfolgekrieg an. Ich weiß nicht, wie einer wie Rudi Nierlich, Gott hab ihn selig, darauf reagieren würde. Ihm wäre wohl eher zum Heulen …