Früher einmal nannte man sie die Helden der Landstraße, weil sie bergauf, bergab Wind und Wetter hoch zu Stahlross trotzten. Seit der Profiradsport aber samt der Jagd nach Dopingsündern ins schiefe Licht geraten war, werden ihre Heldentaten eher skeptisch betrachtet. Vor allem medial, obwohl sich in den klassischen Radsportländern bei Tour de France, Giro d´Italia und Vuelta Espana, aber auch kleineren Rundfahrten und Klassikern selbst in Corona-Zeiten wahre Massen am Straßenrand versammeln oder gar drängen. Verständlich, wenn man sich anschaut, wie groß die Dichte an der Spitze geworden ist, wie eng die Besten aneinandergerückt sind und wie viele, nein: wenige Sekunden die Sieger nach fast oder mehr als 3000 Kilometern vom ersten oder zweiten Verlierer trennen.
Das war heuer schon so, als im letzten Rennen gegen die Uhr der jüngere Verfolger das Duell mit dem bis dahin führenden, älteren Slowenen für sich entschied – und das wiederholte sich, als der besiegte Tour-Favorit Primoz Roglic vor dem finalen „Schaulaufen“ nach Madrid gerade einmal 24 Sekunden auf den (ersten) ekuadorianischen Giro-Vorjahrssieger Carapaz ins Vuelta-Ziel rettete. Das Herzschlagfinish, einst Ausnahme bei Grand Tours, ist inzwischen fast schon so etwas wie die neue Radsport-Normalität geworden.
Warum ich mich mit diesem Thema beschäftige, liegt aus patriotischen Gründen auf der Hand. Gerade deshalb, weil es so eng zugeht in der (wie auch immer) hochentwickelten, professionellen Radsportwelt, sind die Top-Resultate der rotweißroten Mittzwanziger bis Frühdreißiger nicht hoch genug einzuschätzen. Zwanzig und mehr Jahre nach der Erfolgsgeneration von Totschnig, Luttenberger und Konsorten sind es jetzt der Giro-Achte Patrick Konrad, der Vuelta-Neunte Felix Großschartner (Ein Materialdefekt vor Anstieg zur Bergankunft im Skiparadies Covadilla kostete Energie-Reserven und zwei Plätze), der Giro-Zehnte Hermann Pernsteiner und auch andere wie Marco Haller, Sebastian Schönberger usw., die die rotweißroten Fahnen hochhalten. Ja, jeder von ihnen hat auch tageweise Akzente gesetzt und Etappensiege auch und gerade bei schwierigsten Streckenbedingungen mit zweiten Plätzen nur knapp verpasst.
Und das, obschon der eine oder andere mitunter nur ausnahmsweise auf eigene Faust und ohne Rücksicht auf einen vorab gewählten Einser-Kapitän möglich kräftig in die Pedale treten durfte. Abgesehen von den Dopingkontrollen herrscht im Profiradsport ja die in Umdrehung eines Sprichworts ungeschriebene Regel, dass der (Team-)Rock wichtiger ist als das eigene Hemd. Und unabhängig von individuellen Stärken der Profis daher auch das Diktat regiert, dass die Equipe die Interessen seines oder seiner Sponsoren vertreten, wenn nicht schützen muss. Und dass darum so gut wie nie irgendeiner die Hand dessen abbeißt, der die Brötchen gibt. Bei Konrad, Großschartner und Pöstlberger, sind´s Deutsche, bei Pernsteiner gar die Emirate, bei Mühlberger demnächst das spanische Star-Team Movistar.
Natürlich stehen die Zeichen wirtschaftlich derzeit fast überall auf Alarm – trotzdem wär´s ein Wunschtraum, könnte sich ein österreichischer Großsponsor nicht nur finden, sondern auch entschließen, die heimischen Top-Profis in einem Team mit einem Trikot unter einem Rennstalldach zu versammeln. Wenn sie sich weiter so behaupten oder gar noch weiter Richtung absoluter Spitze entwickeln, dann wären sie ganz gewiss auch tolle Werbeträger für die von Covid-19 geplagte Tourismus-Heimat. Interne Rivalitäten hin oder her, es gibt ja auch so etwas wie höhere (Staats-)Räson, der man sich im Spitzensport unterordnet. Schließlich kicken ja auch Fußballer, die sonst öfter Gegner als Freunde sind, ebenso wie Handballer, Basketballer oder Olympiasportler bei Winter- und Sommerspielen für Rotweißrot. Ganz selbstverständlich. Ohne Wenn und Aber.