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Eine vollendete Wilhelm-Tell-Story als so was von Sommer-Märchen

Unglaublich, aber wahr. Nach Titelverteidiger Portugal, Geheimtipp Holland und Vizeweltmeister Kroatien ist auch Weltmeister Frankreich draußen, dafür sind nach den überraschenden Tschechen jetzt auch die Schweizer sensationeller Weise weiter drin und im Viertelfinale. Ja, unsere Neidgenossen, die in einem sich an Szenenwechseln überbietenden Euro- bis Elfer-Drama a la Hitchcock-Krimi in ein bejubeltes Happy End verwandelten, was für uns leider nur die Stolzeste aller Unvollendeten geblieben war. Ja, wer hätte je gedacht, dass die Schweizer nach verschossener Elfer-Chance zum 2:0, Benzema-Doppelpack, Pogba-Tausend-Gulden-Schuss und 1:3 jemals in 10 Minuten ein Comeback a la letztlich besiegte Kroaten gegen Spanier schaffen würden?

Ehrlich gesagt, niemand hätte den ziemlich breit gestreuten Tell-Urenkeln zugetraut, sich im wahrsten Sinn des Wortes mit dem Mute der Verzweiflung doch noch durch die enge, hohle Gasse zu zwängen, einen Treffer nach dem anderen zu landen, um einem der größten Spektakel aller EM-Zeiten im Elfmeter-Shootout eine Krone aufzusetzen, die krönender nicht sein hätte können. Ja, es kam zu so was von einem Sommer-Märchen, wie es buchstäblicher nicht sein hätte können, weil just der daheim oft kritisierte Gladbach-Tormann Yann Sommer den Penalty des trickreichen, pfeilschnellen, aber von allen Torengeln verlassenen 160-Millonen-Stars Kylian Mbappe abwehrte.

In Bruchteilen von Sekunden hatte Yann richtig reagiert, dafür dauerte es ein paar Sekunden mehr, bis er begriff, die Schweiz erstmals seit 1954 in ein Viertelfinale eines Groß-Events und die weltmeisterliche Grande Nation ins Tal der Tränen wie der Entgeisterung befördert zu haben. Kurzum, es kam sozusagen zu einem Jubelsturm mit Zeitzündung, dann aber umso explosiver, umso ausgelassener, um so fröhlicher – und nach dem goldenen Schuss auch zu Giftpfeilen gegen Kritik, die das multikulturelle Nati-Team hatte einstecken müssen. Und wer schoss sie ab? Natürlich Yann, der Mann, der – alles frei nach Blick, „Krone“ der Eidgenossen – den glücklosen Mpabbe verhext und den Schweizer Fluch nach 67 Jahren beendet hatte. „Jetzt“, sagte das leibhaftige Sommer-Märchen, „haben wir allen das Maul gestopft!“ Laut gebrüllt, Löwe von Bukarest.

Wer mit dem Mute der Verzweiflung doch noch aus einer bedauerlichen Unvollendeten eine unglaubliche, sensationelle, ja historische Erfolgsstory zaubert, der kann erhobenen Hauptes und voll Stolz auch verbal auf den Putz hauen. In diesem Sinn wünschen wir Franco Foda und seinen bewunderten bis  aber unverdient unbelohnten, dafür tragischen Helden, dass sie ihre verbalen Waffen erst auspacken, wenn sie glücklich gewonnen statt unglücklich verloren und ein Sommer-Märchen prolongiert statt die (Urlaubs-)Koffer gepackt haben. Die Unvollendete ist, mit Verlaub, nur ein musikalischer Genuss. Eine schillernde Wilhelm-Tell-Story aber etwas für die Euro-Hitparade!

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