Tennis

US-Open-Sieger Alcaraz oder: Ein Kind im Manne, das die Herzen im Sturm erobert

Auch wenn sich Casper Ruud fast drei Stunden lang nicht nur gewehrt, sondern sogar dazu ausgeholt hatte, mit zwei zu eins in Sätzen in Führung zu gehen, es wurde nichts aus dem historischen ersten Sieg eines Norwegers in einem Grand Slam. Und da es ja im finalen Duell mit dem bubenhaften Publikumsliebling Carlos Alcaraz auch in anderer Hinsicht darum gegangen war, Geschichte(n) zu schreiben, so ist halt der 19jährige Spanier nach einem packenden Schlagabtausch über vier Sätze und 3:20-Stunden in die Annalen eingegangen.

Nicht als jüngster Grand-Slam- oder US-Open-Sieger, das waren schon das derzeit inhaftierte Bobele, also Boris Becker (Wimbledon 1985/17 Jahre, 228 Tage), und Pete Sampras 1990 in New York (19 Jahre und ein Monat). Dafür aber kann sich der spanische Teenager mit dem aktuellen Titel als jüngste Nummer 1 der Profigeschichte schmücken – und das will in Zeiten, in denen mit Power-Tennis sowohl die nötige Kraft als auch Kondition in der Mischung aus Explosivität und Ausdauer gefragt sind, sehr viel heißen.

Dieser Teenager hat fast 20 Jahre nach seinem spanischen Vorbild Rafael Nadal sowohl die sportlich-spielerischen Gaben als auch die medienwirksamen, charismatischen Eigenschaften, die ihn immer und überall zu einem Ticketseller, aber auch zu einem menschlichen Star machen, der die Herzen nicht nur der Tennisfans erobert. Einerseits mit dem unwiderstehlichen Sturm und Drang, verbunden mit hoher Risikobereitschaft, andererseits aber auch mit Kampfgeist und Willenskraft, die keinen Ball aufgibt – und wenn er bäuchlings hingestreckt liegt, dem verlorenen Punkt aber nicht nachweint, sondern selbst dabei noch herzhaft lacht! Als Mann im Kinde und als Kind im Manne…

Über seinen tollen Himmelsturm hinaus ist es dieser Schuss an jugendlicher Unbekümmert- und manchmal auch spielerischer, aber niemals unsportlicher Frechheit, warum er die höchsten aller Sympathiewert besitzt, die aktuell ein (e) Tennisspieler (in) sowohl beim Fachpublikum als auch bei den Medien und bei den peripher interessierten Fans haben kann. Es ist jener Schuss an Menschlichkeit, jener Hauch an ungezügelten, noch nicht von einer PR-Maschinerie gesteuerten Natürlichkeit, der aus diesem 19jährigen Naturtalent jenen Jungstar macht, nach dem sich der Sport mit all seinen Kommilitonen sehnt, nicht nur im Tennis, sondern überall, wo zu viel Coolness und zu wenig Emotionen im Spiel sind.

Ein 1,85m großes Bürscherl, das in seiner Kompaktheit kleiner wirkt, als es ist, bei dem aber das Herz noch am rechten Fleck zu sitzen und zu schlagen scheint. Das ist die ganz besondere Qualität, mehr noch: jener Superlativ, der noch mehr wiegt als alle anderen Superlative, hinter denen mehr Zahlen, Fakten und Daten stehen als Fleisch und Blut. Zumindest war und ist das mein Eindruck nicht nur aus dem US-Open, in denen aus Don Carlos, dem Infanten, ein Tennis-Rey schlüpfte. Und mit Alcaraz auch ein gefeierter König der Herzen. 

Der vier Jahre ältere, viel kühlere Casper Ruud aber muss nach zwei verlorenen Grand-Slam-Endspielen darauf hoffen, dass irgendwann aller guten Dinge drei sind. Beide aber haben sich binnen einem Jahr von Starlets in Stars verwandelt, während die Tennis-Instanzen hierzulande in  der Thiem-Comeback-Ära eher doch nur periphere (Damen- und Doppel)-Erfolge an Nebenfronten über Gebühr hochjubeln und kritisch-realistische Anmerkungen punkto Beletage als ungebetene Einmischungen bis besser ungehörte Katzenmusik verdammen.

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