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50 Jahre nach Attentat auf München-Olympia: Immer noch Gänsehaut als Augenzeuge

Eigentlich wollte ich mich der dramatisch-tragischen Szenen erst am morgigen Montag erinnern, die ich zum Teil als Augenzeuge vor Ort erlebt hatte. Aber da sich ja bei den Medien die Unsitte eingebürgert hat, schon Tage vor historischen Jahrestagen große Berichte zu publizieren oder zu senden, um etwaige Konkurrenz zu überholen, wollte ich mich nicht dem Vorwurf aussetzen, jenen weltbewegenden 5. September 1972 verschlafen zu haben, der vor genau 50 Jahren nicht nur die olympische, nicht nur die sportliche, sondern die ganze Welt erschüttert hatte.  

Mitten in den bis dahin so heiter-wolkig, friedlich-fröhlichen, fabelhaft organisierten, wunderbaren Olympischen Spielen in München schlug am späten Nachmittag dieses Tages der sich selbst so genannte „Schwarze September“ im wahrsten des Wortes wie ein Blitz aus heiterem Himmel ein. Im Olympischen Dorf, nur einen Steinwurf entfernt vom nebenan installierten Mediendorf im Olympiapark nahe dem runden BMW-Turm.  Die Meldung verbreitete sich binnen Minuten wie ein Lauffeuer. Binnen kürzester Zeit gab´s auch aus gesicherter Kamera-Distanz die ersten Fernseh-Aufnahmen des Attentats, das von einer Gruppe palästinensischer Terroristen, eben dem Schwarzen September, trotz aller Sicherheitsmaßnahmen und trotz israelischer Security mit Präzision und Brutalität inszeniert und ausgeführt wurde. Diese Bilder und die Fotos vom vermummten Palästinenser, der sich zwischendurch immer wieder am Balkon des israelischen Olympia-Quartiers zeigte, um weniger zu verhandeln als die Polizei unter Regie ihres München-Chefs und Olympia-Ordnungsbeauftragten Doktor Manfred Schreiber zu kommandieren, was sie zu tun hätten, haben sich bei mir fest eingeprägt.

Meine journalistische, damals jugendliche Ader wollte mich zwar in die Nähe des Tatorts treiben, dieser aber war erstens im großen Umkreis hermetisch abgeriegelt, zum anderen hätten es meine damaligen „Presse“-Mentoren und Chefs Kurt Jeschko und Gerhard Zimmer gar nicht zugelassen. So saß ich mit Hunderten an aufgeregten Kollegen im großen Pressezentrum, wo „Tatort live“ übertragen wurde. Wir erlebten, wie Präsident Schreiber, Oberbürgermeister Hans Jochen Vogel und NOK- bzw. OK-Chef Willi Daume versuchten, Zeit zu gewinnen, mit Verzögerungstaktik die Terroristen zu zermürben, von denen man gar nicht wusste, wie viele es an der Zahl waren – und vorerst auch nicht, wie viele israelische Sportler, Trainer, Betreuer sie in ihre Gewalt gebracht hatten.

Man sah und hörte zwischendurch immer wieder den Vermummten, wenn er sich mit dem Megaphon zu Wort meldete. Unauslöschliche Eindrücke, unvergessene Szenen, die man nie vergisst, nur aufgefrisht werden müssen. Gänsehaut kroch dabei über den Rücken. Kein Krimi, kein Horrorfilm, sondern furchterregende, erschreckende olympische Tatsache, die sich bis dahin niemand hatte vorstellen können. Erst recht nicht in München, das abseits von der kleinen Schwabinger Künstler-Freiheit im großen Olympiarahmen die neue deutsche Weltoffenheit gezeigt hatte.

Als die Dämmerung schon hereingebrochen war, schien sich eine Wende anzubahnen. Man hörte, wie Helikopter ums olympische Dorf kreisten, immer näher an das besetzte Haus heranknatterten. Hans „Johnny“ Klein, so hieß der spitzbärige Olympia-Pressechef, verlängerter CSU-Arm des legendären bayrischen Ministerpräsidenten Franz Joseph Strauß, hielt unsereins im Pressezentrum am Laufenden. Geeinigt hätte man sich, die Terroristen samt Geiseln nach Kairo auszufliegen mit einer Boeing – aber nicht von München-Riem, dem Passagierflughafen, sondern von Fürstenfeldbruck, dem Militär-Airport, wo eine Boeing für den Langstreckenflug bereitgestellt worden wäre. Dann hörte man, wie zwei oder drei Hubschrauber vom „Tatort“ abhoben und irgendwann im Dunkel der Nacht immer leiser werdend verschwanden.

Was genau ausgehandelt worden war, darüber gab´s keine Infos. Also saßen wir alle bis weit nach Mutternacht auf Nadeln, wie sich die Dinge entwickeln würden. Es gab zwar halbstündige Bulletins, die aber eher inhaltslos waren. Irgendwann, es muss wohl nach drei oder um vier Uhr gewesen sein, gab´s aufgeregt-emotionales Getuschel und die Ankündigung, dass demnächst der bayrische Ministerpräsident persönlich erscheinen würde, um über den Stand der Dinge zu berichten. Bis dahin gab´s nur Gerüchte, was sich abgespielt haben soll, wobei unterschwellig eher der Eindruck erweckt wurde, die Operation Fürstenfeldbruck wäre ein Erfolg gewesen. Es muss schon um etwa ½ fünf Uhr gewesen sein, als Strauß, der schwergewichtige, wortgewaltige Politiker, so etwas wie ein Mann der Tat, mit Johnny Klein im Schlepp hereinstiefelte und die unvorstellbare Tragödie im tiefsten Bayrisch auf drei Wörter reduzierte: „Die Schitz´n worn´s!“

Franz Josef Strauß, Pressechef Johnny Klein und der unvergessliche Spruch von IOC-Boss Avery Brundage.

Wer immer warum immer damals derart versagt hat, dass bei dieser gescheiterten Befreiungsaktion alle elf israelischen Geiseln, ein Polizist und nur zwei der fünf Terroristen beim Schusswechsel auf den Hubschrauber getötet wurden, kam nie wirklich an den Tag. Ja, es kam als Konsequenz aus dem grauenhaften Blutbad nämlich Jahre später zu einer Flugzeugentführung in Afrika, bei der die drei überlebenden Palästinenser freigepresst wurden. Und ein er davon, der jahrzehntelang untergetauchte Mohammed Safady, durfte zuletzt in einem Film sogar damit prahlen, Israelis getötet zu haben und es wieder tun würde, sollte sich die Gelegenheit ergeben. Auch da kriegst Gänsehaut!

Die Welt, nicht nur die kleine olympische in München, hielt damals den Atem an. Ende der Spiele, Anfang eines neuen (Schatten)-Krieges mit amorphe n Terror-Gruppen? München hat die Welt verändert, sie hat auch wieder – obschon ohne Stacheldrähte wurden – im realen wie übertragenen Sinn die Spiele mit Zäunen umgeben, die SportlerInnen und Fußvolk, auch journalistisches, trennen. Aber anders, als viele damals befürchtet hatten, ließ sich die olympische Idee vom Attentat und den Tätern nicht töten – und dank jenes amerikanischen Chefolympiers Avery Brundage, der hierzulande nur Monate nach dem Schranz-Ausschluss von Sapporo ein Feindbild gewesen war.

Nur und erst damals zeigte just dieser der Vergangenheit und überkommenen Sportwerten verhaftete Brundage eine ungeahnte Größe, als er bei der kurzfristig angesetzten Gedenkfeier im Olympiastadion nicht drei, aber fünf Worte sprach, bei denen es einem den Hals zuschnürte, die ebenso unvergesslich bleiben wie der grausam-brutale Terroranschlag mit blutig-tödlichen Schuss- und Handgranaten-Folgen: „The Games must go on!“ Auch da kroch die Gänsehaut über den Rücken. Unvergesslich. Unauslöschlich. Und Signal, dass weder Politiker noch ihre verlängerten Arme den Sport für ihre Zwecke missbrauchen dürfen. Sollte es meinerseits Erinnerungslücken gegeben haben, so bitte ich, sie zu verzeihen. 50 Jahre sind auch bei gutem Gedächtnis eine sehr, sehr lange Zeit…

PS: Als Ironie am Rande sei auch noch eine höchst skurrile Geschichte ausgepackt, die mit dem damaligen „Presse“-Olympiateam vor Ort in einem Medien-Apartment zu tun hatte. Es bestand aus dem Sportler-Trio Zimmer-Metzger-Fuchs (oder alternativ Hans Huber, Mit-dem-scharfen-Objektiv-Kolumnist Dr. Jeschko war beim ORF untergebracht) und einem auf dem gesellschaftlichen Parkett bestens vertrauten, adeligen Redakteur, der für alles abseits vom Sport zuständig war. Eben dieser umtriebige Freiherr war in der Anschlagsnacht in der Handy-fremden Zeit nirgendwo aufzutreiben gewesen, erschien aber gegen acht Uhr morgens so ahnungslos, als wäre in Fürstenfeldbruck nichts geschehen. „Warum seid´s denn so aufgeregt, meine Herren, was ist denn los, wo pressiert´s?“ Für ihn gab´s keine beruflichen Folgen, ganz im Gegenteil, Wenig später durfte er zu einem Ressortleiter aufsteigen. Wie gesagt, Ironie am Rande der weltbewegenden Tragödie. Oder wie die Römer sagten: De mortuis nil nisi bene.

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